bascha mika über Gegengift
: Alle machen mit, keiner ist schuld

Doch die Kirch-Pleite hat auch etwas Gutes: Sie kann mich endlich von meinem Kindheitstrauma befreien

Ich mach mir Sorgen.

Worum geht’s diesmal? Fragt mein Lieblingsreaktionär geduldig, die Frauen in der Loja Dschirga, die aussterbenden Orang-Utans auf Borneo oder die armen Berliner, die haushaltsrechtlich für dreißig Jahre in Geiselhaft genommen werden?

Um Fussball.

Ach was, Bayer Leverkusen hat’s ins Halbfinale geschafft.

Ich rede doch nicht von diesem hemdsärmeligen Gekicke. Da bin ich ohnehin traumatisiert, spätkindliche Störung durch die familienzersetzende Wirkung der samstäglichen Sportschau. Was mich irritiert, ist der Fußball-Reflex. Dieses: Du-drückst-auf-den Knopf-und-alles-schreit: Brot, Bier und Bundesliga!

Was ein Grundbedürfniss ist, will eben befriedigt sein.

Ah ja, und deshalb drückt bei der Kirch-Pleite vor allem die Frage: Was soll nur aus dem armen deutschen Fußball werden? Das ist doch Irrsinn. Da bricht ein milliardenschweres Medienimperium zusammen. Da geht einer Bankrott, weil er sich jahrelang von aufgeblasenen Erwartungen, Schwindel, gemeingefährlichen Transaktionen und politischen Eitelkeiten genährt hat. Jetzt ist er im Netzwerk von Politfreunden, Medienkonkurrenten und Banken erstickt und niemand will schuld sein an dem Desaster. So was von blank wie Leo Kirch war noch niemand in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte. Und die Bild-Zeitung rührt das auch noch zu Tränen: Er sei stets „großzügig und gütig“, „reich, aber bescheiden“ gewesen. Dabei geht es um tausende, die vielleicht ihren Job verlieren.

Ja, ja, so rund zehntausend könnte es treffen, sagt mein Lieblingsreaktionär ruhig.

Und der Kanzler positioniert sich wieder als Rettergestalt …

Ist ja auch Wahlkampf.

Also keine Zeit für das eigentliche Problem. Jedem Landesfürsten seine Landesbank, sein Medienkonzern und dann eben sein Pleitier – das ist doch nicht nur die Spezialität von Bayerns Stoiber, schau mal nach Nordrhein-Westfalen.

So schafft man eben auf politischem Wege Arbeitsplätze.

Und wenn die Sache auffliegt, wird wie bei Kirch auf Managementfehler verwiesen, statt die Bankenaufsicht zu geißeln, die halbstaatlichen Landesbanken und die Verflechtung von Wirtschaft und Politik. Aber das Aufregerthema ist ja das Schicksal der Bundesliga!

Was stellst du dir vor? Eine „Bild“-Schlagzeile: Gemein! Bayerische Landesbank hat Kredite an Kirch ohne ausreichende Sicherheiten bewilligt?

Ist jedenfalls wichtiger als Deisler und Kahn. Das Geschrei um Kirch ging doch erst richtig los, als alle begriffen,dass die Zahlungen an die Klubs aus den Fernsehrechten gefährdet sind und damit die Bundesliga. Da interessierten sich plötzlich alle für den Bankrott.

Fußball ist eben ein modernes Kulturgut.

Quatsch, Fußball ist ein einfach ein weit überbewerteter Industriezweig.

Ja, und?, seufzt mein Lieblingsreaktionär, ist doch egal. Fußball ist ein Massenartikel und wird als solcher vermarktet. Und macht übrigens auch in der Masse erst richtig Spaß.

Während die Profis Millionengehälter und -prämien einsacken.

Spar dir den Sozialneid. Die verkaufen einfach ihre Leistung so teuer wie möglich. Fehlt nur noch, dass auch du mit dem Heucheldiskurs ankommst und von ihnen Gehaltverzicht verlangst. Es gibt ja schon einige, die aus Imagegründen klein beigeben, statt auf ihre Verträge zu pochen.

Noch vor kurzem fand niemand Kirchs Gier auf die Fernsehrechte und die Gier der Klubs auf die Kohle unanständig.

Warum auch, hat doch alles der Markt geregelt.

Nur jetzt haben angeblich alle schon immer ein Problem damit gehabt. Beckenbauer ist der größte Schwindelhuber. Der behauptet tatsächlich, die Entwicklung der letzten Jahre sei zwar „ein Wahnsinn“ gewesen. „Aber wir mussten sie mitmachen.“ Alle haben mitgemacht und kassiert, aber mal wieder ist niemand schuld.

Warum, fragt mein Lieblingsreaktionär zunehmend irritiert, willst ausgerechnet du mit deinem Kindheitstrauma die Moral im Fußball retten?

Schon mal was von paradoxer Verschreibung gehört? Mein Therapeut rät mir dringend zu einigen Samstagssitzungen mit der guten alten ARD-Sportschau. Die muss wieder her! Für mich, für alle! So wie früher.

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