Die Welt ist alles, was im Fall ist

■ Ohne Ziel und Schwerkraft schaffen es Kanadas „Do Make Say Think“, jedem Zuhörer seinen eigenen Soundtrack zu liefern

„Nomen est omen“, sagten gars-tige Menschen, als das dritte Do Make Say Think-Album unter dem Titel & Yet & Yet erschien. Und noch nicht, und noch immer nicht komme nämlich die kanadische Band mit ihren Songs zu Potte. Minute um Minute erstrecke sich das flirrende Schweben, ohne Anfang, ohne Ende. Alles sei im freien Fall, bestenfalls in freier Fahrt, nur das Ziel kenne niemand.

Dieses Urteil gründete auf einem Missverständnis. Denn die Kanadier wollen gar nicht die Bedürfnisse stampfwütiger Rocker mit einer Vorliebe für Sing-along-Refrains bedienen. Auf Gesang verzichtet die Band weitestgehend, und Rhythmik hat lediglich als das endlos gleichförmige Rattern symbolischer Bewegung einen Platz. Die Emphase liegt bei Do Make Say Think (DMST) auf dem letzten Viertel ihres Namens: Denken sollen sich alle ihren Teil zu dieser Musik. DMST liefern lediglich einen Soundtrack. Der ist bevölkert von den ambientesken Sounds eines ganzen Arsenals analoger Synthesizer, von theatralisch geschwungenen Dynamikbögen (die sich doch nie die Blöße geben, den direkten Weg bis zum Crescendo zu Ende zu gehen), vom dreidimensionalen Sound-Ideal des Dub und nicht zuletzt einer Prise Loungejazz.

Live ist ein solcher Ansatz nicht ohne Probleme: Der Film zu diesem Soundtrack ist in jedem Kopf ein anderer. Das erschwert ungemein jenen Prozess der Kollektivierung, von dem Besucher guter Konzerte schwärmen. Nicht mal einen Sänger gibt es, dem man die Worte von den Lippen lesen und sie dann gemeinsam mitmurmeln, -singen oder -schreien kann?

DMST versuchen derartige isolationistische Tendenzen auszugleichen, mit der Kraft der Stimulation. Die wächst bekanntlich umgekehrt proportional zur Vorhersagbarkeit. Wer nach zehn Minuten weiß, wer der Mörder ist, fühlt sich nicht mehr arg gepackt von einem Tatort. Zwar haben DMST eine Schwäche für krautrockig monotone Rhythmen, doch ansonsten ist der Verlauf ihrer Songs schwer vorherzusagen. Wo sonst Strophe-Ref-rain- oder doch zumindest klar erkennbare Laut-Leise-Schemata die Richtung vorgeben, breitet sich hier ein weites, uneingezäuntes und immer warmes Feld von Sounds aus. Dieser Abwechslungsreichtum hat auch mit der Vielzahl zum Einsatz kommender Effekte zu tun. DMST lassen Schlagzeugbeats wie Ego-Shooter-Saugnäpfe klingen und schicken Schwärme wohlig gurrender Analogsounds durch die Klanglandschaften. Nahrung satt für hungrige Synapsen.

Gregor Kessler

heute, 18 Uhr, in der Reihe „Schaufensterkonzerte“ bei Michelle Records (Gertrudenkirchhof); morgen, 21 Uhr, Logo