: Alle meine Verluste
Wandschmuck mit Heimatseligkeit, naturalistische Details, Teddybären mit Panzerfäusten, Familienfotos in Wachs, ein kleiner Friedhof, ein leeres Gesicht: Im Art-On-Club ziehen vier polnische Künstler Trauerränder um Leerstellen
Kleine Ovale aus Birkenholz, bemalt mit Motiven des Waldes, das war der Wandschmuck von Onkels und Tanten, deren Erinnerungsschwerpunkt noch „vor dem Krieg“ lag. Die ganze Beschwörung von Heimatseligkeit, die damit von den Wänden tropfte, kehrt zurück vor den ovalen Zeichnungen von Vitek Marcinkiewicz, die mit großer Sorgfalt und Liebe zum naturalistischen Detail in das Dunkel unter den Bäumen führen, über kleine Wasserstege, ins Gebüsch und ans Ufer kleiner Flüsse.
Allein die topografischen Angaben, die der Galerist Peter Funken bereitwillig nachliefert, bringen ins Grübeln: Hier am Rand sieht man die von Deutschen gebaute Autobahn, im Hintergrund den Sender Gleiweitz, von dem aus der Überfall auf Polen mit Falschmeldungen gesteuert wurde, und dies hier ist die Grenze zu Russland. Von wegen, Heimat! Das ist in diesen geraubten und besetzten Gebieten ein zweifelhafter Kampfbegriff: Das weiß wohl auch der kleine Trupp von Teddybären, die tapfer durch das Gebüsch stapfen. Man muss schon sehr nah mit der Nase an die Bildoberfläche herangehen, um zu erkennen, dass die Bärchen nicht Picknickkörbe und Schmetterlingsnetze umgeschnallt haben, sondern Panzerfäuste. In der Rolle von Partisanen durchqueren sie dies Bilderbuchgelände. Schluss mit niedlich.
Es geht um Verluste. Das verbindet die Beiträge der vier polnischen Künstler, die in Berlin leben und sich im Art-On-Club in der Ausstellung „Interpolation“ treffen. Magda Myjak, gerade mal 30 Jahre alt, verstärkt, ein wenig redundant, den Abstand von der eigenen Vergangenheit, indem sie Familienfotos in Wachs gießt: als ob ihre Kindheit schon Jahrhunderte zurückläge. Die Objekte von Pawel Althamer, der sich oft durch eine ironische Bearbeitung von Ausstellungssituationen ausgezeichnet hat, vermitteln eh immer das Gefühl, den Hauptspaß, den Prozess der Kunstwerdung selbst, verpasst zu haben. Das gilt auch wieder für die kleine Skulptur, die er zusammen mit seinem Sohn als ein Denkmal zum Thema Freiheit gebastelt hat. In der Schule wurde sie prämiert. Sie sieht aus wie ein kleiner Friedhof. Gräber für Freiheitskämpfer? In Polen hat man seit mehr als 100 Jahren gelernt, aus dem Verlorenen ästhetische Kraft zu beziehen.
Auf Ironie verzichtet Roland Schefferski. Er umschreibt Leerstellen und erzeugt dabei ein Gefühl permanenten Entzugs: von Wirklichkeit, von Empfindungen, von Benennbarem. Seine Installation aus Möbeln, leeren Gläsern mit schwarzem Rand und Zeitungsseiten, aus denen die Bilder bis auf dunkle Kanten herausgeschnitten sind, ziehen Trauerränder um Fehlstellen.
Die Überschriften unter den fehlenden Bildern „Leere Worte, ernste Gesichter, mulmige Gefühle“ oder „Kondolenzstreifen am Himmel von Manhattan“ beziehen sich auf die Anschläge auf New York. Die Aushöhlung der Wahrnehmung, die Schefferski vorantreibt, ist allerdings nicht an diese Katastrophe gebunden. Sie folgt vielmehr dem allgemeinen Zweifel, dass Bilder noch darstellen können, was sich ereignet. KATRIN BETTINA MÜLLER
Bis 27. April, Di.–Sa. 14–19 Uhr, Art-On-Club, Sophienstr. 18, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen