Neuanfang mit Wischmopp

Das bizarre Gefühl des Trauerns: Über die Alzheimererkrankung seiner Frau Iris Murdoch schrieb John Bayley eine anrührende „Elegie für Iris“. Nun erscheint eine Art Fortsetzung: „Das Haus des Witwers“

Witwerschaft muss dargestellt werden – Witwer sind Schauspieler

von MONIKA GOETSCH

Einen großen Liebenden, das wissen wir seit John Bayleys Buch „Elegie für Iris“, darf man sich ruhig als schmuddeligen ältlichen Herrn vorstellen. Eine große Liebe, erfuhren wir dort, kommt ohne sexuelle Höchstleistungen aus, ist ein „Enger und enger auseinander“-Sein, eine gemeinsame Ruhe und Zärtlichkeit füreinander und verwandelt sich lediglich, wenn eine Krankheit allmählich den Verstand zerstört. Völlig unsentimental war Bayleys Buch über die Alzheimererkrankung seiner Frau, der Schriftstellerin Iris Murdoch, anrührend in seiner Genauigkeit und Offenheit und der Freundlichkeit der Bilder, die die Liebe beschrieben.

Umso waghalsiger, dass Bayley, dessen Text im Mai mit Kate Winslet und Judi Dench in den Hauptrollen ins Kino kommt, eine Fortsetzung vorlegt, nach einem Buch, das, so schien es, über die Liebe bereits alles gesagt hat. Würde Bayley den Zauber der „Elegie für Iris“ halten können? Ihn verbrauchen im unendlichen Selbstzitat, der Redundanz der Erinnerungen, die für den Trauerprozess typisch sind? Würde er für seine Trauer einen so eigenwilligen, ehrlichen, auch schrägen Blick entwickeln können wie seinerzeit für die Liebe?

Tatsächlich versteht sich der Autor, seines Zeichens Literaturwissenschaftler und Kritiker, noch in der Trauerbewältigung darauf, Leseerwartungen zu enttäuschen. Statt anzuknüpfen an den erfolgreich sanften, leise-humorvollen Ton seiner Elegie, hebt der Witwer Bayley nach kurzer Reflexion über das Trauern an mit einer beinahe übermütigen, gleichwohl etwas umständlich zu lesenden Komödie, in der ein Wischmopp eine nicht unerhebliche Rolle spielt.

Im verzweifelten Versuch begriffen, sich in dem „Haus des Witwers“ komfortabel einzurichten und die Zeit ziehen zu lassen, wird seine Trutzburg von zwei Damen gestürmt, Margot die eine, Mella die andere, lästig und unverzichtbar zugleich alle beide. Mellas Wischmopp verwandelt „Pastetenland“, das vor die Hunde gekommene Zuhause zweier gemeinsam gelebter Leben, in die Leere des Neuanfangs und zielt mit all dem Gewisch letztlich, worauf auch sonst, auf das Bett des Witwers. Der lässt sich verführen und die Verführung zur Gewohnheit werden, eine leidenschaftslose Beschäftigung, aber ein Zeitvertreib immerhin. Zwischendurch verspeist der belagerte Witwer eine belgische Dauerwurst, von Erinnerungen beinahe frei, aber außer sich, abgelenkt von dem schwer durchschaubaren Spektakel einer Dreiecksgeschichte, deren er sich nur mit Mühe entledigen kann.

Die Eskapaden des verschmuddelten Witwers kommentiert Bayley im Anschluss an die etwas mühsame Komödie so: „Wenn man verwitwet ist, hat man nicht nur seinen geliebten Partner verloren, sondern auch viel von sich selbst. Und es gab niemand Neues, der die Stelle meines alten Selbst eingenommen hätte. Nur dieses konturenlose Geschöpf.“ Und man ist froh darum, dass Bayley nach dem grotesken Spiel mit Männlein-Weiblein-Klischees wieder zurückfindet zu einer Sprache der Konturen.

Denn nachdem Mella aus seinem Leben verschwunden ist, „wie ein Mensch aus der U-Bahn aussteigt und geht“, kommt die Erinnerung an Iris, die unter der Flut von Putzmitteln ausgelöscht zu werden drohte, zurück „als das absichtliche Sich-Erinnern. Ich stellte sie mir vor, wie sie ging, sprach, sich hinsetzte, abwusch. Aber nach wenigen Augenblicken dieses bewussten Erinnerns verlor die Person ihre scharfen Umrisse, wurde unwirklich. Und dann wieder überfiel mich die ungerufene Erinnerung wie ein Rowdy auf der Treppe. Da war es dann plötzlich das Bild, bei dem ich vor Schmerz weinen musste, gerade weil es so lebensecht war, gerade weil es ohne mein Zutun gekommen war.“

Erneut verzaubert Bayley mit seinem Text durch die kluge Weise seines auf Brüche und Widersprüche zielenden Beobachtens, das sich den Unreinheiten und Ungereimtheiten des Trauerns so stellt wie der Lächerlichkeit der eigenen Figur.

Auch die Rolle des Witwers, so Bayley in einer Textpassage, die zehn Tage nach Iris’ Tod entstand, wolle erlernt sein, „Witwerschaft muss dargestellt werden, Witwer sind gezwungenermaßen Schauspieler.“ Manchmal sei es schwer gewesen, zu unterscheiden, „ob ich die Rolle eines trauernden Hinterbliebenen spielte oder ob ich diese tief innerliche Trauer tatsächlich empfand“.

Er schildert die Sehnsucht des Witwers nach seinem Zuhause, sowie er sich zu weit in die Welt gewagt hat – und die Leere, die ihn, daheim angekommen, alsbald wieder aus der Tür treibt. Er berichtet davon, sich wie tot und begraben zu fühlen seit Iris’ Tod – und nennt dies ganz ungerührt „ein bizarres Gefühl“. Von der Egozentrik ist die Rede, die jetzt in ihm Einzug gehalten hat, weil ihm das Zentrum, der andere, fehle, und davon, wie irgendwann selbst die Trauer lebendiger scheint als das, was dann kommt: die Depression.

Sicher greift er damit Empfindungen auf, die Trauernde teilen können. Dennoch taugt das „Haus des Witwers“ so wenig als Lektüre für Selbsthilfegruppen wie „Elegie für Iris“. Durchwirkt von literarischen Erinnerungen und Reflexionen, ist der Text für Leser, die auf der Suche sind nach der wahren Empfindung, kein reines Vergnügen. Und führt doch hin zu einer Darstellung des Trauerns und Wieder-zu-sich-Findens sowie einer Schilderung eines neuen, anderen Glücks, wie sie ihresgleichen sucht.

Auch die kleine Erzählung von Iris Murdochs Sterben könnte im Übrigen vorsichtiger und schöner kaum sein. „Sie hatte aufgehört zu atmen“, heißt es da schlicht. „Und das auf genauso natürliche Weise, wie wir Übrigen atmen.“

John Bayley: „Das Haus des Witwers“. Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Verlag C. H. Beck, München 2002, 272 Seiten, 18,50 €