Die SPD in der PDS-Falle

Die Sozialdemokraten haben auch zwölf Jahre nach der Wende ihr Verhältnis zur PDS nicht geklärt. Das könnte Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt nun sein Amt kosten

In Erfurt können die SPD-Genossen sehen, was ihnen eine große Koalition bringt: den Absturz auf Platz drei

Bevor Ministerpräsident Reinhard Höppner und Bundeskanzler Gerhard Schröder am 2. März in Halle den Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt eröffneten, verständigten sie die beiden SPD-Politiker kurz über die PDS-Frage. Beide waren sich darin einig, die rot-rote Zusammenarbeit in Magdeburg – ein respektables Ergebnis vorausgesetzt – fortzusetzen und nach den Wahlen die dritte rot-rote Länderkoalition anzustreben.

Dass der Kanzler dann auf der Bühne kein Wort über die PDS verlor, verwunderte nicht, schließlich würde er die PDS-Frage im Bundestagswahlkampf gerne tief hängen. Aber auch Höppner sprach nur knapp über die PDS, warf ihr vor, keine Konzepte für den Osten zu haben. Über das Magdeburger Modell, jenes Tolerierungsbündnis, mit dessen Hilfe er seit 1994 regiert, kein Wort.

Wie kein anderer Politiker hat sich Höppner mit der Enttabuisierung der PDS als Vorreiter einer selbstbewussten und eigenständigen ostdeutschen SPD profiliert. Vor acht Jahren und auch noch vor vier Jahren setzte Höppner das zunächst rot-grün-rote dann rot-rote Tolerierungsbündnis gegen den Widerstand großer Teile der SPD durch. Er berief sich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in Ostdeutschland, verwies auf die Chancen für die innere Einheit und widersetzte sich dem massiven Druck der Bundespartei.

Mittlerweile herrscht an der sozialdemokratischen PDS-Front scheinbar Entspannung, in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin regieren rot-rote Bündnisse, selbst in der Bundespolitik zählt die PDS mittlerweile zu Schröders Machtreserven. Die PDS ist eine völlig normale ostdeutsche Partei geworden, handzahm in der Zusammenarbeit mit der SPD, ein zuverlässiger und staatstragender Juniorpartner.

Reinhard Höppner könnte dies als seinen Erfolg verkaufen. Doch plötzlich scheint es so, als wolle er seine Machtoption verstecken. Statt laut zu sagen, was er will, schließt der Ministerpräsident mit Rücksicht auf seine innerparteilichen Widersacher eine große Koalition nach den Wahlen nicht aus – wohlwissend, dass diese ohne ihn gebildet würde. Schließlich sind die Sozialdemokraten weit von ihrem Wahlziel entfernt, im Landtag wieder stärkste Partei zu werden. Von dem ostdeutschen Selbstbewusstsein, das Höppner stark gemacht hat, ist nichts mehr zu spüren.

Das hat Folgen, denn mittlerweile bestimmt nicht mehr Höppner, jetzt diktieren seine Konkurrenten in der CDU und der PDS, aber auch in den eigenen Reihen, die Schlagzeilen der PDS-Debatte. Einmal mehr machen die ostdeutschen Sozialdemokraten, was sie seit zwölf Jahren am liebsten tun: Sie streiten über die PDS. Höppner will gerne mit der PDS koalieren, aber er sagt es nicht laut. Derweil wirbt sein Innenminister Manfred Püchel offensiv für eine große Koalition und stellt damit unverhohlen Höppner in Frage. Mehr noch, von Umfragen angespornt, die die PDS als zweitstärkste Partei vor der SPD sehen, reklamieren mittlerweile auch die Linkssozialisten das Amt des Ministerpräsidenten für sich und machen die SPD weitgehend allein für die schlechte wirtschaftliche Situation des Landes verantwortlich.

Auch wenn die PDS davon in Sachsen-Anhalt tatsächlich noch weit entfernt ist, sorgt allein die Frage, ob Sozialdemokraten auch als Juniorpartner in ein rot-rotes Bündnis eintreten sollten, für zusätzlichen innerparteilichen Streit. Ohne Not hat Höppner die Ost-SPD einmal mehr in die PDS-Falle manövriert.

Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident hat den richtigen Zeitpunkt verpasst, das Verhältnis zur PDS ein für allemal zu klären. Nicht das Magdeburger Modell ist schuld an Höppners Absturz, sondern dessen machtpolitisches Überleben. Spätestens nach den Bundestagswahlen 1998 hätte Höppner die PDS auch in Sachsen-Anhalt in einer Koalition in die landespolitische Verantwortung mit allen seinen Erfolgen und Misserfolgen einbinden müssen.

Denn 1994 war Höppner noch der Tabubrecher. Inzwischen jedoch, nach Schwerin und Berlin, nach Schröders PDS-Deals im Bundesrat, wirkt die PDS-Debatte in der sachsen-anhaltinischen Sozialdemokratie nur noch anachronistisch. Und wie immer, wenn sich die Sozialdemokraten über die PDS-Frage streiten, hinken sie den politischen Verhältnissen in Ostdeutschland hinterher, verwirren sie die ostdeutschen Wähler und machen so die ungeliebte linke Konkurrenz stark.

Das war auch schon 1990 so, als am Veto der wenigen Ostsozialdemokraten der Versuch scheiterte, den Reformflügel der SED in die SPD zu holen. Vor dem Bundestagswahlkampf 1994 verabschiedete die SPD dann die so genannte Dresdener Erklärung. Diese schloss jede Zusammenarbeit mit der PDS aus – obwohl Höppner in Magdeburg damals längst mit der PDS zusammenarbeitete.

Jetzt ist plötzlich wieder die große Koalition eine Option in Sachsen-Anhalt. Dabei ist dies für die SPD in Ostdeutschland eine gefährliche Alternative – zumindest wenn die CDU den Ministerpräsidenten stellt. In Thüringen können sich Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten erkundigen, welche Perspektiven sich ihnen als Juniorpartner einer großen Koalition bieten. Vier Jahre lang verschliss sich die SPD in Erfurt an der Seite der Christdemokraten, um bei den Landtagswahlen 1998 tatsächlich hinter die PDS auf den dritten Platz abzustürzen.

Die Tolerierung 1998 in Magdeburg hat den Sozialdemokraten geschadet – und der PDS genutzt

Auch die Berliner SPD hatte ein solches Schicksal vor Augen, bevor sie im Frühsommer 2001 die große Koalition platzen ließ und den Wechsel zu Rot-Rot einleitete. Ringstorff und Wowereit demonstrieren, dass es der im Osten mitgliederschwachen und von Wechselwählern abhängigen SPD nur mit machtpolitischem Selbstbewusstsein gelingen kann, sich gegenüber der mitgliederstarken ostdeutschen Volkspartei PDS zu behaupten.

Es gibt also zwei Wege für die ostdeutsche SPD: den Erfurter und den Schweriner Weg. Natürlich wird die PDS nicht entzaubert, wenn man sie in die landespolitische Verantwortung einbindet, aber sie wird auf ein für Sozialdemokraten erträgliches Maß zurechtgestutzt. In Sachsen und Thüringen hingegen tut die SPD bis heute alles, um mit sektiererischen Debatten über die PDS auch noch die letzten Wähler zu vergraulen. Die SPD wird sich also in Sachsen-Anhalt entscheiden müssen. Entweder sie koaliert mit der PDS, oder sie wird sich möglicherweise schon bald wie die Parteifreunde in Thüringen oder Sachsen gezwungen sehen, sich mit der Rolle des Juniorpartners im rot-roten Bündnis zufrieden zu geben und einen PDS-Ministerpräsidenten zu wählen.

Moralisch werden die Sozialdemokraten mehr als ein Jahrzehnt nach der Wende in der DDR keine Vorbehalte mehr vorbringen können. Wer Gregor Gysi in Berlin zum Wirtschaftssenator und stellvertretenden Bürgermeister kürt, der hat kein historisch begründetes Argument mehr, den Nachfolgern der SED den Chefsessel in einem der neuen Bundesländer zu verweigern. CHRISTOPH SEILS