Mittelalterliche Reise nach Südamerika

Frei improvisierte Toccata: Das neue Festival „Zeitfenster“ widmet sich im ersten Jahr der Alten Musik aus Spanien. Wie modern diese klingen kann, zeigten am Montag im Konzerthaus Rolf Lislevand und sein Ensemble Kapsberger

Das Festival Zeitfenster – Biennale Alter Musik – ist neu: Von nun an bringt es jedes zweite Jahr im Frühling den Berlinern Alte Musik nahe. Näher, als sie je gewesen ist. So nah wie Zender oder Metallica. „Artist in Residence“ ist Jordi Savall, passionierter Entdecker und Patron alter spanischer Musik. Allein sein Name bürgt beim neuen Festival für höchste künstlerische Qualität.

Spanische Musik steht dieses Jahr im Mittelpunkt des Interesses. Dabei denkt man dem Klischee folgend an wilde Flamenco-Tänzerinnen oder leichtes Gitarrengeplänkel.

Doch Rolf Lislevand hat am Montag mit seinem Ensemble Kapsberger jegliches Vorurteil über den Haufen geworfen: Die fünf Musiker an Theorbe, Basslaute, Chitarra Battente, Orgel und Perkussion haben einen kaum bekannten spanischen Komponisten vorgestellt: Santiago de Murcia.

Als Gitarrenlehrer am Hofe von Felipe V. blieb ihm noch genug Zeit, seine eigene Musik aufzuschreiben. Es entstanden eine Gitarrenschule und der Saldivar Codex, worin alte spanische Tänze die Grundlage für neue Stile wie den Fandango bilden, der bei de Murcia zuallererst vorkommt. Rein spanisch hört sich das aber nicht an.

Im Jahr 1717 reiste Santiago de Murcia nach Südamerika und ließ die neuen Eindrücke in seine Musik einfließen. Als einer der Ersten brachte er auch afro-amerikanische Elemente unter. Etwa die Zarambeques, bei denen Perkussionist Pedro Estevan ein afrikanisches Perkussionsinstrument benutzt.

Estevan entwickelt sich im Laufe des Abends zum absoluten Publikumsliebling. Er rührt die Trommeln sensibler als so mancher Jazzer, scattet ganz dezent dabei und klappert fingerfertig mit Kastagnetten. All das mit einer frohen Gelassenheit.

Die Musiker des Ensembles sind hervorragend aufeinander eingespielt: Blickkontakt gibt es bei Taktwechseln oder wenn Lislevand zum Duett einlädt. Es herrscht die Atmosphäre einer Jam-Session, wo nicht nur die Zuhörer genießen dürfen.

In einer Pause erklärt Lislevand, dass vieles in diesem Konzert Improvisation ist. Die meisten heutigen Musiker haben diese Kunst verlernt, doch früher gehörte Improvisation wie selbstverständlich zu einem guten Musiker. Barocke Komponisten ließen den Solisten bewusst viel Raum für eigene Ideen.

So auch der Komponist und Lautenvirtuose Kapsberger: Seine Toccata wird frei improvisiert. Der Namensgeber des Ensembles um Lislevand hat vor knapp 400 Jahren so neu und avantgardistisch geschrieben, dass seine Musik noch heute modern klingt. Seine Arpeggiata erinnert an Zenders Interpretation der Winterreise: klirrend kalte Klänge, doch dann wieder ein beruhigend satter Orgelpunkt. In seiner Colascione eine Ohrwurm-Bassline in der Basslaute, ansonsten sparsame, aber eindrucksvolle Klänge.

Da denkt zumindest das junge Publikum fast zwangsläufig an Metallicas softes Gitarrenintro von „Nothing Else Matters“. So modern kann Alte Musik sein. Und noch bis zum 21. April bietet Zeitfenster die Möglichkeit, Neue Alte Musik kennen zu lernen. LENA HOPPE

Programminformationen unter www.zeitfenster.net.