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Melancholisches Kino der Wahrheit

■ Die eigenen Methoden öffentlich gemacht: Regisseurin Agnès Varda befasst sich im Film „Die Sammler und die Sammlerin“ mit dem Weg des Weggeworfenen

Im Bild immer wieder ihre über siebzig Jahre alten Hände, und doch scheint es oft, als sei hier eine sehr junge Filmemacherin am Werk gewesen. Agnès Varda hat mit Die Sammler und die Sammlerin einen Film gemacht über „glaneurs“, und obwohl der Begriff für Leute, die etwas sammeln oder aufklauben, im Französischen etwas altertümlich klingt, hat die für die Nouvelle Vague seinerzeit stilbildende Regisseurin ein sehr aktuelles Thema ins Zentrum ihrer jüngs-ten filmischen Arbeit gestellt: die wachsende Menge von Leuten, die sich von dem ernähren, was sie im Müll oder auf bereits abgeernteten Feldern finden können.

Ihr Werkzeug, eine kleine digitale Kamera, hält Varda dabei stets auf Distanz. Sie lässt den Leuten ihre Würde, wenig von dem, was sie erzählen, kommt einem bekannt vor. Denn die kleine, kaum Respekt einflößende Filmemacherin versteht es, Fragen zu stellen, die etwas öffnen. Nicht mal die eigenwillige Zusammenschau dieser Armen mit Künstlern, die mit auf dem Müll gefundenen Objekten arbeiten, mit denjenigen, die nicht aus Not, sondern aus ökologischer Überzeugung oder zu ihrem puren Vergnügen sammeln, wirft ein abschätziges Licht auf die Sammler aus Not.

Die Sammlerin Varda versteckt sich und ihre Arbeitsweise nicht, schon der Titel des Films ist ein dahin gehendes Bekenntnis. Sie spricht über die eigene Sammelwut, scheinbar zufällig reiht sie ihre Fundstücke auf, ohne das konstruierende Prinzip zu verheimlichen, das noch dem assoziativsten Film zugrunde liegt. In einem Trödelladen, den sie besucht, um auch das Geschäft mit Weggeworfenem nicht zu verschweigen, findet Varda das billige Gemälde einer Sammlerin auf dem Feld: „Das ist kein Kinoschwindel. Wir stöberten diese Sammlerin wirklich aus purem Zufall auf. Dieses Bild hatte uns gerufen, weil es seinen Platz in diesem Film hatte.“

Diese Sätze, von denen die ers-ten klingen, wie einem Manifest des Cinéma Verité entnommen, bekennen zugleich, was Lüge ist am Anspruch der wahrheitsgetreuen Darstellung von Wirklichkeit. Vardas Kommentar, wo er ins Melancholische kippt, weiß sehr wohl um den Einfluss des subjektiven Wollens – der Entscheidung, diese Sequenz in den Film aufzunehmen und sie zu kommentieren – auf das, was am Ende die Zuschauer von „der Wirklichkeit“ sehen.

Und wie das Cinéma Verité schon immer auf eine Wahrheit jenseits des Offensichtlichen gezielt hat, lässt Varda die Rechtslage in Sachen Nachlese auf abgeernteten Feldern oder Müllsammeln in der Stadt nicht einfach von Juristen erläutern. Nein, sie greift ein, macht eine Inszenierung daraus, stellt den Richter mit Robe und knallrotem Gesetzbuch mitten in einen Acker. Wo er uns – nicht ohne Süffisanz – auf so einige Lücken hinweist, die die zum Schutz des Privateigentums erdachten Gesetze aufweisen, wenn es um liegen gelassenes, übrig gebliebenes oder weggeworfenes Eigentum geht.

Christiane Müller-Lobeck

heute und Mo, 22.4. bis Mi, 24.4., 18 Uhr, 3001

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