Passend zur Situation des „Arsenal“

Lust und Schmerz, Ritual, Konzentration und Überschreitung: Das Kino Arsenal zeigt die gefahrvolle Lyrikabteilung des Filmschaffens. Michael Brynntrup zeigt neben der eigenen Werkschau 32 deutsche Experimentalfilme

Die Fotoausstellung zu Michael Brynntrups Experimentalfilm „ACHTUNG die Achtung (concentration chair)“, die im Foyer des Arsenal herumhängt, passt gut zu den alarmierenden Meldungen, dass die Senatsgelder für die Freunde der Deutschen Kinemathek und das Arsenal gekürzt werden sollen. In dem spartanischen 35-mm-Film sitzen verschiedene Menschen nackt und mehr oder weniger regungslos auf einem Einkaufswagen-Sessel. Eine Hochschwangere, ein Dicker, ein Alter und ein ausführlichst gepiercter und tätowierter junger Mann mit langen Haaren und romantischem Gesichtsausdruck, der aussieht wie ein Indianer.

Der schweigsame Film spielt – wie sein Titel – mit den Grundmustern eines christlich-masochistischen Theaters aus Lust, Schmerz, Ritual, Konzentration und Überschreitung. Man denkt an den schwarz-romantischen SM-Boom der 80er-Jahre, freut sich darüber, den verloren geglaubten Straps-Harry mal wieder zu sehen, und guckt am Ende, wenn der junge Mann mit Nadeln seine Hoden spickt, doch lieber weg. So ganz passt der Film vieleicht doch nicht zur Situation des Arsenal, denn das Arsenal genießt die Schmerzen der Kürzungen nicht, die ihm zugefügt werden, und fügt sie sich vor allem auch nicht selber zu.

„Achtung“ ist sozusagen der Headliner eines von Brynntrup präsentierten vierteiligen Programms deutscher Experimentalfilme, das Ende 2001 bereits auf dem dritten Bangkok Experimental Film Festival zu sehen war und zurzeit im Arsenal gezeigt wird. Die 32 Filme sollen „das Spektrum der experimentellen Filmarbeit im Deutschland der 90er-Jahre präsentieren“, „authentische Zeugnisse“ sein „des persönlichen Wahrnehmens und Sinngebens“ und reflektieren dabei logischerweise auch ihre je eigenen bildkünstlerischen Mittel und Bedingungen. Experimentalfilme sind sozusagen die Lyrikabteilung des Filmschaffens mit allen Gefahren, vor allem der Humorlosigkeit. Manche Filme, wie der vierminütige „Platz da!“ von Nikolaus Steglich, in dem so ein junger Mann einen pornoklassischen „Blowjob“ pantomimisiert, wirken wie ein rotziges Statement. Andere, wie die Filme der mit Wolfgang Müllers Island-Connection assoziierten Filmemacherin Karola Schlegelmilch, untersuchen Welt- und Selbstwahrnehmung auf eine Art, die an die klassischen Experimentaldrogenfilme der späten 60er erinnert.

Andere wieder, wie Nino Pezzelas „Cocullo“, der von seltsamen Christenfesten in einem italienischen Provinzstädtchen erzählt, oder Stanislaw Muchas „Ein Wunder“, in dem man polnische Menschen mit unterschiedlichen Ferngläsern auf Kirchenfenster gucken sieht, während man sie von wundersamen Marienerscheinungen sprechen hört, tendieren zum Dokumentarfilm. Manche benutzen die Bilder, die sie auf ihren Reisen machen, zur Illustration ihrer eigenen Gefühlswelt; andere benutzen – wie Marcel Schwierin in seinem dezent-melancholischen Film „Die Bilder“ – gefundenes Amateurmaterial. Komischerweise meint man es den Bildern anzusehen, ob sie lange genug angeschaut wurden oder ob sie irgendwie imperialistisch nur benutzt werden wie so häufig bei Künstlerverschickungen.

DETLEF KUHLBRODT

Michael Brynntrup präsentiert deutsche Experimentalfilme: Programm 2, „Irritationen“, 18. 4., 19.30 Uhr; Programm 3, „Sehnsüchte“, 19. 4., 19.30 Uhr, Programm 3, Werkschau von Michael Brynntrup, 21. 4., 19.30 Uhr