Kommt Zeit, kommt Betriebsrat

Kurz vor dem möglichen Sendeschluss gründen Premiere-Mitarbeiter eine Arbeitnehmervertretung. 100 Angestellte wurden bereits entlassen

Seit sechs Jahren betreibt Leo Kirch in Unterföhring Bezahlfernsehen. Zunächst startete der einst so mächtige Fernsehmann 1996 das Digitalprogramm DF 1. Das ging im Herbst 1999 in Premiere World auf, nachdem Kirch von Bertelsmann den Hamburger Sender Premiere gekauft hatte. Über all die Jahre gab es in dem Abo-TV-Haus keinen Betriebsrat. Nun bringen die von Senderchef Georg Kofler angekündigten Massenentlassungen die Angestellten auf Trab.

Am Mittwochabend brachten 300 der knapp 600 Premiere-Mitarbeiter die Gründung einer Arbeitnehmervertretung auf den Weg. Sie trafen sich auf Einladung der Gewerkschaft Ver.di zu einer Betriebsversammlung und bestimmten einen Wahlvorstand für den Betriebsrat. Begrüßt hat sie dabei der Personalchef der Muttergesellschaft Kirch PayTV, Carsten Teschner. Premiere hat in Unterföhring laut Teschner bereits rund 100 Angestellte entlassen. Für die rächt es sich, dass sie bisher keinen Betriebsrat hatten. Denn deshalb gab es keinen Sozialplan – Abfindungen Fehlanzeige. Mindestens 800 der fast 2.500 Mitarbeiter aller Kirch PayTV-Unternehmen sollen ihre Jobs verlieren. „Über den Zeitraum sind wir noch in Verhandlungen“, sagte Teschner. Im Nachbarort Ismaning haben heute alle 120 Mitarbeiter eines Premiere-Call-Centers ihren letzten Arbeitstag. Hier gibt es einen Betriebsrat. Dessen Chef Peter Oliver Putz kritisiert die Kollegen in Unterföhring: „Die Gründung des dortigen Betriebsrats kommt wahrscheinlich zu spät.“ Wenn der in sechs Wochen gewählt wird, müssten die Betriebsräte erst noch geschult werden. Denn von ihrer wichtigsten Aufgabe, einen Sozialplan für künftige Massenentlassungen auszuhandeln, hätte doch keiner eine Ahnung, meint Putz. Von Geschäftsführer Markus Frengel fühlt Putz sich „verarscht“.

Am 8. Januar habe Frengel bei einer Betriebsversammlung die Schließung des Call-Centers angekündigt. Seither habe der Geschäftsführer die Angestellten nicht mehr informiert. „Gäbe es keinen Betriebsrat, wüssten die Mitarbeiter von nichts“, sagte Putz. Selbst am letzten Arbeitstag wolle Frengel nicht vor die Telefonisten treten. Obendrein habe die Premiere-Tochter die Nacht- und Feiertagszuschläge gestrichen. Dem vorletzten Betriebsratschef sei wegen eines angeblichen Betrugs sogar gekündigt worden, erzählt Putz. Zwei neuen Betriebsräten habe die Geschäftsführung die gesetzlich vorgeschriebene Bezahlung von Schulungen verwehrt. In Hamburg hingegen hat Premiere einen Betriebsrat – vielleicht aus dem alten Bertelsmann-Klima heraus. Hier arbeiten keine Journalisten, sondern 900 Techniker und Verwaltungsleute.

Ver.di protestiert

Der Hamburger Projektleiter Olaf Hofmann von Connexx.av, dem Ver.di-Ableger für elektronische Medien, wirft den Premiere-Chefs vor, „sie drücken den Betriebsrat mit dem vermutlichen Insolvenzantrag an die Wand“: „Um die Braut für Investoren hübscher zu machen, betreiben sie Sozialkahlschlag.“ Bisher wurden laut Hofmann 200 Angestellte und 150 Freie entlassen.

Natürlich betreibt Personalchef Teschner Zweckoptimismus. Die Mitarbeiter seien „hoffnungsfroh“: „Wir gehen hier alle davon aus, dass es weitergeht.“ Schließlich interessiere sich nicht nur der australische Medienmogul Rupert Murdoch verstärkt für Premiere, sondern auch Exteilhaber Bertelsmann.

Ein Kirch-Manager sagte der taz, die Gespräche mit Bertelsmann würden fortgeführt. „Murdoch kann als 22-Prozent-Gesellschafter bestimmen, wer reinkommt.“ Die Gütersloher kämen leichter zum Zug, wenn Kirch PayTV oder Premiere beim Amtsgericht einen Insolvenzantrag gestellt hätte. Denn dann verlöre Murdoch an Einfluss. Auch mit ihm wird laut dem Insider weiter verhandelt. Bertelsmann, das erst vor gut einem Jahr seine letzten Kirch-PayTV-Anteile von 1,5 Prozent verkaufte, wollte sein angeblich neues Interesse am Abofernsehen weder bestätigen noch dementieren. Auch die Mitarbeiter des zum Kirch-Konzern gehörenden Internetanbieters Sport1.de be-gannen am Mittwoch mit der Gründung eines Betriebsrates. An der Betriebsversammlung nahmen die Hälfte der 100 Mitarbeiter teil. OLIVER HINZ