„Die meisten DVU-Wähler sind desillusioniert“

Der Parteienforscher Everhard Holtmann glaubt, dass die Schill-Partei in Sachsen-Anhalt nur relativ wenige rechte Protestwähler überzeugen kann

taz: Herr Holtmann, am Sonntag wählen die Sachsen-Anhalter ihren Landtag. Welche Überraschung werden wir auf keinen Fall erleben?

Everhard Holtmann: Die Schill-Partei wird kaum so erfolgreich sein wie die DVU, die 1998 in Sachsen-Anhalt unerwartet gut abgeschnitten hatte. Ich gehe davon aus, dass die Schill-Partei am Sonntag bei ungefähr fünf Prozent bleiben wird.

Die rechtsextreme DVU war 1998 mit 12,9 Prozent in den Landtag eingezogen. Sie haben in einer Studie untersucht, wer die Partei gewählt hat.

Das waren eindeutig Protestwähler, überwiegend nicht Rechtsextreme. Sie waren überdurchschnittlich jung, männlich und mit einem allenfalls mittleren Bildungsabschluss – aber es waren auch nicht überdurchschnittlich viele Arbeitslose. Die Unzufriedenheit der DVU-Wähler resultierte aus der Ungeduld über die wirtschaftliche Situation und aus überspannten Erwartungen an die Politik. Deswegen wählten damals so viele aus Protestgründen.

Die DVU tritt zur jetzigen Landtagswahl nicht mehr an. Nur ihre abgespaltene Partei, die FDVP, will sich wählen lassen, aber Umfragen zufolge hat sie kaum eine Chance. Wie versucht die Schill-Partei, die damaligen DVU-Wähler einzufangen?

Die Wahlkampfparolen überschneiden sich darin, dass die Schill-Partei Plakate klebt, auf denen die Abschiebung von Scheinasylanten gefordert wird. Auch innere Sicherheit wird thematisiert, um damalige DVU-Wähler anzusprechen.

Sie denken aber, das wird nicht funktionieren. Warum?

Der große Teil von damals wird wohl gar nicht zur Wahl gehen. Für das Gros der DVU-Wähler ist die Schill-Partei keine nahe liegende Alternative. Die Wählerschaft ist erkennbar unterschiedlich. In Hamburg waren unter den Schill-Wählern auch Teile des Bürgertums. Das deckt sich kaum mit den sozialen Merkmalen der DVU-Protestwähler in Sachsen-Anhalt.

Spielt bei der Entscheidung gegen die Schill-Partei auch eine Rolle, dass sich die DVU im Landtag als unfähig erwies?

Ja. Das ist der zweite Grund, dass viele ehemalige Protestwähler nicht zur Wahl gehen. Es könnte sich eine Stimmmung breitgemacht haben, zu sagen: Wir gehen nicht noch mal einer Protestpartei auf den Leim. Bei der DVU gab es Vetternwirtschaft, Unfähigkeit, im Parlament professionell zu arbeiten. Da ist sicher eine Desillusionierung eingetreten. Höchstens eine Minderheit wird zur Schill-Partei wechseln.

Wie, schätzen Sie, werden die anderen Parteien abschneiden?

Im Osten gibt es viele Wechselwähler und nach Umfragen sind viele unsicher, wen sie wählen. Wir wissen nicht zuverlässig, wie sich diese rund 50 Prozent entscheiden. Es wird auf jeden Fall rechnerisch knapp werden: für Rot-Rot oder eine mögliche Koalition aus CDU, FDP und Schill-Partei.

Wird man vom Wahlausgang in Sachsen-Anhalt Schlüsse auf die Bundestagswahl ziehen können?

Ich wäre damit vorsichtig. Einerseits sagt die Mehrheit der Sachsen-Anhalter, dass vorrangig landespolitische Beweggründe ausschlaggebend sind. Andererseits wissen wir, dass Landes- und Bundespolitik natürlich miteinander verknüpft sind. Die Personalisierung zwischen Stoiber und Schröder hat eine ganz andere Qualität als zwischen Höppner und Böhmer.

INTERVIEW: NICOLE JANZ