Das Bleiben der Lämmer

Trümmerhaufen, weiße Plastekisten und überhaupt keine schmerzlose Langeweile: Die Choreografin Sommer Ulrickson mit ihrem Stück „Remains“ in den Sophiensælen

Eine Frau fällt in einen Raum. Niemand weiß, wo sie herkommt. Sie selbst hat es vergessen. In den Ecken Leute, die sich vor einer Bedrohung zusammengefunden haben und das Überleben üben, nicht ohne sich gegenseitig permanent zu misstrauen. Wer manipuliert hier wen und ist da draußen überhaupt noch Leben? Die Frau ist nicht in der Lage, die Bewegungen der anderen nachzuvollziehen. Einer willenlosen Puppe gleich lässt sie sich formen, wird sie gestoßen, versucht sie, in einem mühsamen Akt sich anzupassen. Sie bleibt eine Fremde, aber auch die anderen, die schon vor ihr da waren, bewegen sich auf unsicherem Terrain, ständig auf der Hut, aber mitunter auch ganz selbstvergessen in Erinnerung an ein anderes Leben.

In ihrer neuen Arbeit beschäftigt sich die amerikanische Choreografin Sommer Ulrickson, in Berlin als Teil des Choreografenkollektivs „wee dance companie“ bekannt geworden, mit dem Begriff „Remains“. Unterstützt wird sie dabei durch fünf TänzerInnen und zwei SchauspielerInnen aus den USA, Argentinien, Deutschland und der Schweiz, den Berliner Bühnenbildner Alexander Polzin und den israelischen Komponisten Amos Elkana.

Der englische Begriff „Remains“ lässt sich nur schwer eingrenzen. Es kann „bleiben“ bedeuten oder „sterbliche Überreste“, „Ruinen“ oder in der Verbindung mit „undone“ mit „unterbleiben“ übersetzt werden. „Remains“ könnte auch der Rest sein, der von einem groß angelegten Projekt übrig geblieben ist. Der Satz „Egal wie die Lage aussieht, sie kann immer noch schlimmer werden“, der im Stück fällt, ist den Protagonisten des Projektes bekannt. Niemand wollte es finanzieren.

Zuletzt schrieb sich der Krieg noch ganz real in das Geschehen: Der israelische Komponist Amos Elkana konnte nicht rechtzeitig aus Tel Aviv zu den Proben anreisen. Die Musik blieb fragmentarisch. Der Text beschränkt sich, bis auf zwei hineinmontierte Handlungsstränge, auf Tipps eines Survivalratgebers.

Die erzwungene Reduktion hat dem Projekt ästhetisch gut getan. Alexander Polzin hat Trümmerhaufen und weiße Plastekisten auf der Bühne der Sophiensäle arrangiert. Mehr bedurfte es auch nicht in einem Raum, der aussieht, als sei der Krieg gerade mal drei Stunden vorbei. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, kriecht in die Körper, wird nur ab und an von den Stimmen der Schauspieler aufgenommen. Die Elemente Tanz, Sprache, Musik, aber auch Artistik und Mimik vermischen sich zu einem Gesamtkunstwerk. „Das Schlimmste“, heißt es am Ende, „ist die schmerzlose Langeweile.“ „Remains“ ist keinen Augenblick langweilig.

ANNETT GRÖSCHNER

Heute und morgen, 20 Uhr, Sophiensæle, Sophienstr. 18, Mitte