Leise Klopfzeichen

Drei verdrahtete Grenzpfosten sehen aus wie eine Panzersperre oder wie ein Werk von Horst Walter – oder wie das Logo der Bankgesellschaft

An Panzersperren erinnern seine Gebilde. Walter nennt sie „Kultursperren“Walter grinst: „Die streiten ab, dass ich der Erfinder der Brotsuppe bin“

von URSULA TRÜPER

„Ich hab das Gefühl, dass die dafür jetzt richtig bestraft worden sind“, sagt Horst Walter mit einer kleinen rachsüchtigen Befriedigung in der Stimme, „und wir alle mit.“ Da wird er ganz ernst: „Wir Berliner müssen jetzt über 20 Milliarden abdrücken.“ Die, das ist die Berliner Bankgesellschaft. Und Horst Walter ist der Künstler, der ihr Logo erfunden hat. Sagt er. Die Bankgesellschaft aber leugnet das und hat ihm noch nie ein Honorar für seine Idee bezahlt.

Rheinsberger Straße 48. Hier in Mitte arbeitet Horst Walter. Der 60-Jährige legt seinen Hut auch im Atelier nicht ab. Das liegt vermutlich daran, dass es lausig kalt ist. Der kleine Kohleofen schafft es einfach nicht, den ehemaligen Laden komplett zu beheizen. Walter hat dieses Atelier noch nicht lange. „Hier sieht’s noch aus wie auf einer Baustelle“, sagt er mit einem liebevollen Blick auf das kreative Chaos rundum. „Ich liebe Baustellen.“

Walters Atelier sieht vor allem aus wie ein kleines Mauermuseum. Überall Schilder „Sie verlassen den Demokratischen Sektor Berlins“, Stacheldrahtstücke, ein Scheinwerfer, der an der Mauer angebracht war. Auch der Tisch, an dem Walter sein Abendessen einnimmt, ist aus einer Stahlplatte gemacht, die DDR-Grenzer anfangs noch vor die Löcher der Mauerspechte schraubten. Horst Walter ist ein „Mauerspecht der ersten Stunde“, wie er betont. Und das wiederum hat sehr viel mit dem Logo der Berliner Bankgesellschaft zu tun.

Und dann erzählt er die ganze Geschichte: Am 4. oder 5. November 1989 arbeitete er in seinem Atelier – damals noch in Schöneberg –, als im Radio die Nachricht kam, gerade hätten sich auf dem Ostberliner Alexanderplatz Million Menschen versammelt und riefen: „Wir sind das Volk.“

Walter schwang sich aufs Fahrrad und fuhr zum Brandenburger Tor. „Ich dachte mir, wenn jetzt tausend auf das Brandenburger Tor zugehen, dann fällt heute die Mauer.“ Aber nichts geschah. Als es dunkel wurde, ergriff er einen großen Stein und donnerte damit an die Mauer. „Ich dachte, wenn ich Klopfzeichen gebe, dann müssen die da drüben das hören, wie im Urwald, wenn man Nachrichten übermittelt. Dann werden die Massen vielleicht auf das Tor zulaufen und die Mauer zum Einsturz bringen.“

So geschah es, wenn auch einige Tage später. Mittlerweile hatten sich auf der Westseite immer mehr Leute an der Mauer zu schaffen gemacht. Nicht nur mit Steinen, sondern mit Hammer und Meißel. Bald ist der Beton löchrig wie ein Schweizer Käse. Man kann jetzt rein und raus.

Walter freundet sich mit einigen Grenzern an. Die sind verunsichert. Walter überredet sie, ihm mehrere Grenzpfosten zu überlassen. Von denen streicht er ein Drittel schwarz, ein Drittel rot und ein Drittel umhüllt er mit Goldpapier. Dann stellt er immer drei Pfähle gegeneinander und bindet sie mit Draht zusammen. Entfernt erinnern diese Gebilde an Panzersperren. Walter nennt sie „Kultursperren“. Es ist Anfang 1990.

Walter stellt seine Kultursperren auf dem Gelände des vormaligen Todesstreifens auf, zwischen Potsdamer und Leipziger Platz, und nennt das Areal „Peaceland“. Sein Ziel ist es, eine Kette von „Kultursperren“ einmal rund um die Erde zu spannen, als Symbol für das Aufeinandertreffen von Ost und West. Ein Projekt, das natürlich zum Scheitern verurteilt war. Horst Walter hatte aber auch genügend anderes zu tun. Tausende von Touristen kommen damals nach Berlin, um die zerbröckelnde Mauer zu sehen und zu fotografieren. Und viele von ihnen besuchen auch Peaceland. Walter funktioniert eine ehemalige Grenzerbaracke in ein Café um, das „Café 9. November“. Dann erfolgt die deutsche Vereinigung, der Potsdamer Platz wird neu bebaut, die Kultursperren verschwinden und geraten in Vergessenheit.

Sie fallen ihm erst wieder ein, als Walter 1994 eine Anzeige der Berliner Bankgesellschaft in der Zeitung sieht. Deren Logo: drei farbige Balken, die sich kreuzen. Allerdings blau, rot, gelb und nicht schwarz, rot, gold wie seine Kultursperren. Aber ansonsten besteht eine frappierende Ähnlichkeit. Er geht zu einem Anwalt, der ihm rät, sich das Urheberrecht zu sichern. Doch schnell wird klar, dass die geistige Urheberschaft an drei sich kreuzenden Balken schwer zu beweisen ist. Fast ebenso schwer wie die geistige Urheberschaft an einem einfachen Kochrezept. Wie z. B. der Brotsuppe.

Walter sieht die Sache aber nicht so verbissen. Er schreibt der Bankgesellschaft einen freundlichen Brief, in der er sie darauf hinweist, wer der eigentliche Erfinder ihres Logos ist. Als kleine Anerkennung für seine Idee schlägt er ihr eine Ausstellung über die Kultursperren in den Räumen der Bankgesellschaft vor. Die antwortet ausgesprochen kleinlich und humorlos. „Die streiten ab, dass ich der Erfinder der Brotsuppe bin“, sagt Walter heute und grinst. „Das stimmt ja. Aber trotzdem – jeder, der das Logo sieht, sagt, das ist doch deine Kultursperre.“

Kühl teilt ihm die Rechtsabteilung der Bankgesellschaft mit, man habe damit nichts zu tun. „Dieser Schriftverkehr,“ sagt Walter, „hat in mir einen Ekel hervorgerufen. Ich hab doch nichts verlangt. Ich habe nicht gesagt, zahlt mir 200- oder 400.000 Mark, sondern: ‚Lasst mich erklären, wie euer Logo entstanden ist.‘ “

So, wie es ihm damals erging, so geht es jetzt ganz Berlin mit der Bankgesellschaft, findet Walter. „Sie haben sich an der Kunst bedient, ohne dem Künstler dafür eine Gegenleistung zu geben. Sie haben uns von Anfang an alle vorgeführt. Wir müssen jetzt die Rechnung dafür bezahlen.“

Allerdings, und da grinst Walter schon wieder, habe die Bankgesellschaft auch dazu beigetragen, seine alte Idee zu realisieren, einen Gürtel aus Kultursperren um die ganze Erde herumzuziehen. „Die Berliner Bankgesellschaft ist heute in 54 Ländern der Welt. Und überall steht da mein Logo, meine Kultursperren.“

Die Werke, die Horst Walter seit seinen Kultursperren geschaffen hat, werden übrigens derzeit, zusammen mit Arbeiten anderer Künstler, in Mitte gezeigt. Noch bis Ende April ist die Ausstellung zum Thema „Licht“ in der Zionskirche zu sehen.