Der letzte Abenteurer ist tot

Thor Heyerdahl vertraute nur dem praktischen Selbsttest. Seine 7.000 Kilometer lange Reise auf dem Balsa-Floß „Kon-Tiki“ machte den Norweger auf der ganzen Welt berühmt

STOCKHOLM taz ■ Als Thor Heyerdahl 1914 geboren wurde, gab es sie noch: die großen Forschungsreisenden und Abenteurer, die Polargebiete eroberten, antike Städte ausgruben und von den letzten „weißen“ Flecken auf dem Globus angezogen wurden. So einer wollte er selbst werden.

Polynesien hatte es ihm angetan. Von woher wurden die Südseeinseln eigentlich besiedelt? Aus Asien, behauptete die Wissenschaft – ohne Beweis. Aus Südamerika war es praktisch möglich, machte Heyerdahl vor. Mit seinem Balsaholz-Floß „Kon-Tiki“ und der allein von Wind und Strömung gesteuerten Fahrt wiederholte Heyerdahl, was womöglich 5.000 Jahre zuvor Seefahrern passiert war: zufällig und doch exakt von Peru aus auf den winzigen Inseln in diesem riesigen Ozean zu landen.

Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre waren die Expeditionsberichte des letzten Abenteurers ein Buch- und Filmerfolg. Das Buch über die 101-tägige, 7.000 km lange Fahrt der „Kon-Tiki“ 1947 über den Stillen Ozean wurde in 66 Sprachen übersetzt, der Dokumentarfilm mit einem Oscar gekrönt.

Gentechnische Forschungen der letzten Jahre haben Heyerdahls Südamerika-These kräftig erschüttert. Genetisch gesehen weisen die Einwohner der Südseeinseln wesentlich deutlichere Übereinstimmungen zu Südasien auf und kaum solche zu Amerika. Die moderne Populationsgenetik habe die „ ‚Kon-Tiki‘ versenkt“, schrieb die Wissenschaftszeitschrift Science im letzten Jahr. Heyerdahl kümmerte dies nicht besonders: Seine Gegner sollten doch bitte ihre These in der Praxis beweisen.

Nach der Überquerung des Atlantiks mit dem Schilfboot „Ra II“ und verschiedenen anderen Expeditionen verbrachte er die 90er-Jahre mit Ausgrabungen auf Teneriffa. In den letzten Jahren reizte ihn ein neues Projekt: die These, dass der nordische Gott Odin in Wahrheit ein leibhaftiger Stammeshäuptling aus Russland war. Die „Jagd auf Odin“ wurde sein letztes Buch.

1999 war Thor Heyerdahl zum „Norweger des Jahrhunderts“ ernannt worden. Er war Jurymitglied für den Alternativen Nobelpreis und wurde international wegen seines Engagements für die Umwelt und Völkerverständigung geehrt. Zu Ostern hatten Ärzte bei dem 87-jährigen einen Gehirntumor diagnostiziert. Wie es zu ihm passte, wollte er selbst über sein Ende bestimmen. Er verließ die Klinik. In der Umgebung seiner Familie verweigerte er Nahrung und Medikamente.

REINHARD WOLFF