Tragischer Unfall oder Selbstmord?

In Italien hält der Sohn des Unglückspiloten, der mit seiner Maschine ins Mailänder Pirelli-Hochhaus raste, einen Selbstmord seines Vaters für wahrscheinlich. Demgegenüber gehen die italienischen Behörden von einem tragischen Unfall aus

aus Rom MICHAEL BRAUN

Eine Stunde lang hat am Donnerstagabend die Welt den Atem angehalten. Die Bilder der Rauchschwaden, die aus der von einem Flugzeug aufgerissenen Fassade des Mailänder Pirelli-Hochhauses drangen, schienen für eine Wiederholung des 11. September in kleinerem Maßstab zu sprechen. Während weltweit CNN und al-Dschasira die Bilder vom Unglück übertrugen, trat in Rom unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi sofort ein Krisenstab zusamment und sprach Senatspräsident Marcello Pera von der Möglichkeit eines Attentats. Überall brachen die Börsenkurse ein.

Sie erholten sich aber ebenso schnell, als Italiens Behörden Terror-Entwarnung gaben und von einem Unfall sprachen. Gegen einen terroristischen Hintergrund sprach die Identität des Piloten und alleinigen Insassen der einmotorigen Commander 112, die um 17.50 Uhr in Höhe des 25. Stocks in das Hochhaus in Mailands Innenstadt gerast war: Gino Fasulo, 67 Jahre alt, italienischstämmiger Schweizer Staatsbürger und Geschäftsmann. Fasulo kam ebenso ums Leben wie zwei im Dienst der Region Lombardei tätige Rechtsanwältinnen. In dem 1960 als Hauptquartier des Reifenfabrikanten Pirelli fertig gestellten „Pirellone“ befindet sich heute der Sitz der Regionalregierung. Außerdem wurden 24 Personen verletzt, von denen sich gestern noch 11 in Krankenhäusern befanden. Die Zahl der Opfer fiel auch deshalb relativ niedrig aus, weil sich zum Zeitpunkt des Unglücks nur noch 300 der gewöhnlich 1.600 dort arbeitenden Personen in dem 30-stöckigen Gebäude aufhielten und weil die obersten vier Stockwerke wegen Asbestsanierung zurzeit nicht genutzt werden.

An der noch am Unglücksabend von Innenminister Claudio Scajola verbreiteten Unfallversion sind ernste Zweifel angebracht. So ist die Darstellung unpräzise, der Pilot habe unmittelbar vor der Kollision SOS gefunkt. Der in Locarno mit Ziel Mailand-Linate gestartete Fasulo hatte beim Landeanflug angegeben, er habe „Probleme mit dem Fahrwerk“. Statt aber wie vom Kontrollturm angeordnet weg von der Stadt drehte der mit über 5.000 Flugstunden äußerst erfahrene Pilot nach Westen direkt in Richtung Stadtzentrum. Er korrigierte trotz mehrerer Anrufe des Kontrollturms wie auch anderer Flugzeuge die verfehlte Route nicht. Mehr noch: Statt die vorgeschriebene Mindestflughöhe von 300 Metern einzuhalten, stieg er auf gut 100 Meter herab – auf die Höhe, in der die Maschine dann in das Hochhaus prallte.

Zwar wurden gestern Spekulationen laut, der mit dem eingeklemmten Fahrwerk befasste Fasulo habe alle diese Fehler womöglich aus Unachtsamkeit begangen. Ausgerechnet sein Sohn Marco dagegen hielt einen anderen Ablauf für wahrscheinlicher. Sein Vater habe sich umgebracht, erklärte er unmittelbar nach dem Unglück. Auch nach Angaben eines Freundes hatte der unter anderem mit einer Finanzierungsgesellschaft in Panama tätige Gino Fasulo vor wenigen Tagen geäußert, er sei „ruiniert“, da ihn Partner um über eine Million Dollar betrogen hätten.

Es liegt jetzt an der Staatsanwaltschaft und der Flugsicherheitsbehörde, die Unglücksursache aufzuklären. Zugleich wurden die Aufräumarbeiten am beschädigten Hochhaus begonnen. Regionspräsident Roberto Formigoni äußerte die Hoffnung, dass schon ab Montag wenigstens die unteren elf Stockwerke des Gebäudes wieder genutzt werden können.