Chinas Bürger engagieren sich

In der Volksrepublik entstehen jetzt auch Nichtregierungsorganisationen. Während private Initiativen staatliche Aufgaben in der Sozial- und Umweltpolitik übernehmen, initiiert die Regierung auch ihre eigenen Organisationen

PEKING taz ■ Chinas und Japans Premierminister zu Gast bei einer chinesischen Nichtregierungsorganisation (NGO) – wer hätte so viel Zivilgesellschaft im Einparteienstaat für möglich gehalten? Doch was das „Boao Asia Forum“ am vergangenen Wochenende auf der südchinesischen Insel Hainan möglich machte, nämlich ein „Davos ohne Schnee und Demonstranten“ (Financial Times), in dessen Rahmen sich asiatische Politiker und Unternehmer informell austauschen konnten, deutet auf einen Gewinn an politischer Freiheit im Zuge der Reformpolitik: die immer häufiger erteilte Erlaubnis zur Gründung privater NGOs. Überraschend auch: Viele Chinesen, denen man nur die Suche nach schnellem Reichtum unterstellt, verlangen nach den neuen Organisationen.

Ein kleines, aber typisches Beispiel: Jeden zweiten Sonntag sitzen im „Haus der arbeitenden Schwestern“ in der Pekinger Zypressengasse 13 Frauen aus den unterschiedlichsten Provinzen Chinas zusammen und diskutieren über ihre Situation als Arbeitsmigrantinnen in der Hauptstadt. Beraten werden sie von einer Lehrerin und einem Journalisten, die vor ein paar Jahren die NGO „Ländliche Schwestern“ gründeten – ein Netzwerk, das schon hunderte armer Landfrauen, die ihr Glück in Peking suchten, vor dem Absturz in die Prostitution bewahrte.

Ähnliche Gruppen mit meist sozialem oder umweltpolitischem Fokus sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. „Die Chinesen haben erkannt, dass es möglich ist, Dinge in einem kleinen Rahmen selbst in die Hand zu nehmen“, sagt Nick Young, Autor des Nachschlagewerkes „250 chinesische Nichtregierungsorganisatonen“. Er gibt einen ersten Überblick über die NGO-Szene der Volksrepublik.

Allerdings taucht das Boao Asia Forum nicht in Youngs Werk auf. Der britische Autor hat Gruppen zusammengestellt, die „weitgehend unabhängig sind und sich allein auf private Aktivitäten stützen“. Sie entsprechen damit annäherend westlichen NGO-Vorstellungen. Zugleich existiert in China eine Reihe scheinbar neuer gesellschaftlicher Einrichtungen, die sich „non-profit“ oder „non-governmental“ nennen, aber im Grunde ehemals staatliche Organisationen sind. Sie müssen nach ihrer Ausgliederung aus den öffentlichen Haushalten selbstständig oder mit weniger Subventionen bestehen. Hinzu kommen von der Regierung selbst initiierte Gruppen wie das Boao Asia Forum, die Chinas Politik dienen, Sponsoren im Ausland zu finden: Sei es für Umweltprojekte, die ohne NGO-Status keine Geld aus dem Westen bekämen, sei es für Konferenzen wie in Hainan, die als reine Regierungsveranstaltung keine westlichen Sponsoren wie Siemens oder CNN finden würden.

Für mehr Bürger- und Freiheitsbewusstsein aber stehen die kleinen Basisinitiativen. Hintergrund ihrer Entstehung ist die Auflösung von Arbeitseinheiten und Straßenkomitees und der Einflussverlust parteigesteuerter Massenorganisationen. Zudem klaffen immer größere Lücken in der Sozialversorgung, was auch ein Grund für den Zulauf ist, den religiöse Organisationen und Sekten wie Falun Gong haben. Ihnen aber schiebt die Regierung meist einen Riegel vor, weltliche NGOs dagegen werden zunehmend toleriert. „Die lokalen Behörden sagen nicht viel zu solchen Initiativen,“ beobachtet Dorit Lehrack, deutsche Beraterin der Chinesischen Vereinigung für NGO-Kooperation (Cango). „Grundsätzlich sieht die Regierung NGOs positiv, auch wenn sie keine Einmischung in die eigene Politik oder gar Opposition dulden würde.“

Besonderen Erfolg haben NGOs im Umweltbereich – Grund dafür ist die enorme Umweltverschmutzung in den Städten, unter der auch die wachsende Mittelschicht leidet. Ihr entstammt die 46-jährige Xiaoyi Li, Gründerin der Ökoinitiative „Global Village Beijing“. Li, die auf ihrer Suche nach ökologischen Lebensformen zum Medienstar avancierte, wurde kürzlich in Norwegen mit einem renommierten Umweltpreis ausgezeichnet. Nun hat sie die Pekinger Regierung als „Beraterin für Umweltfragen“ bei der Olympia-Vorbereitung angeheuert.

Andere Umweltgruppen arbeiten themenspezifisch: So kämpfen die „Green Earth Volunteers“ gegen die Versteppung im Nordwesten Pekings, sind die „Friends of Nature“, Chinas international bekannteste Bürgerinitiative, beim Artenschutz und in der Umwelterziehung aktiv. Alle zusammen aber prägen die NGOs das Bild einer allmählich erwachenden Zivilgesellschaft in den Städten der Volksrepublik.

GEORG BLUME, KRISTIN KUPFER