„Kinder werden zu Soldaten erzogen“

Der israelische Friedensaktivist Lotahn Raz über die wachsende Zahl der Kriegsdienstverweigerer in seinem Land

taz: Warum rufen Sie nicht öffentlich zur Kriegsdienstverweigerung auf?

Lotahn Raz: Eine unnötige Provokation mit einem darauffolgenden Verbot wäre unproduktiv für unsere Arbeit.

Haben Sie Angst, die israelische Rechte oder die Fundamentalisten zu provozieren?

Ich habe jedes Mal Angst, wenn ich mich für Kriegsdienstverweigerer in israelischen Gefängnissen engagiere. Ich verdränge die Angst und hoffe auf wachsenden Zuspruch für unsere Aufklärungsarbeit. Früher war Kriegsdienstverweigerung ein Tabu. Heute verweigern immerhin 20 Prozent eines Jahrgangs. Einige lassen sich für untauglich erklären oder verweigern offen und gehen ins Gefängnis. Immer mehr Jugendliche wollen selbst entscheiden.

Warum erst jetzt?

Immer mehr Jugendliche sehen die Existenz Israels nicht mehr gefährdet und stellen mehr Fragen. Warum werden Kriegsgefallene an Gedenktagen als Helden verehrt, obwohl sie nichts vom Leben hatten? Die Jugendlichen erkennen, dass sie schon in der Schule manipuliert werden: Soldaten werben im Unterricht für den Wehrdienst. Die Jugendlichen werden schon als Kinder zu Soldaten erzogen. Heranwachsende werden auf einen Feind hin sozialisiert.

Hat das einen Einfluss auf die Militäraktion in den besetzten Gebieten?

Die Manipulation verursacht eine mangelnde Sensibilität gegenüber den Palästinensern. Viele Israelis können sich nicht in deren Lage versetzen. Israels Gesellschaft ist durch die Angst geprägt, von den Arabern ins Meer getrieben zu werden. Das kommt von der jahrhundertelangen Judenverfolgung und wird durch die militärische Erziehung gepflegt.

Warum behandelt die Presse in Israel kaum das Thema Kriegsdienstverweigerung?

Weil dann auch zwangsläufig über die Rolle des Militärs in der Gesellschaft diskutieren werden müsste. Die ist militarisiert.

INTERVIEW: SALVIO INCORVAIA