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Die Schusswunden verheilen nicht

Brasiliens Landlosenbewegung MST kämpft um die Wiederaufnahme des Prozesses gegen die Verantwortlichen für das Massaker von Eldorado dos Carajas 1996, als die Militärpolizei 19 Menschen erschossen und etliche verletzt hatte

aus Belém GERHARD DILGER

In prallster Mittagshitze ziehen rund 2.000 Landlose mit Spruchbändern und roten Fahnen durch die Altstadt der Amazonasmetropole Belém. Ganze Familien sind seit acht Tagen zur Schlusskundgebung vor dem Gebäude des Landesgerichtshofs unterwegs. Dutzende von Militärpolizisten haben auf den Stufen vor dem Haupteingang Position bezogen. Einige von ihnen zeigen demonstrativ ihre Gewehre mit Gummigeschossen, ganz hinten fletschen zwei Kampfhunde die Zähne. Dabei machen die DemonstrantInnen keinerlei Anstalten, in das Gerichtsgebäude eindringen zu wollen. Nach ein paar Reden rollen sie erschöpft ihre Transparente ein und werden von Bussen abgeholt.

Der Anlass der Kundgebung ist eines der traumatischsten Ereignisse der jüngeren brasilianischen Geschichte: Am 17. April 1996 hatten 1.500 Landlose eine Landstraße bei Eldorado dos Carajás blockiert, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Der Gouverneur Almir Gabriel, ein Parteifreund von Präsident Fernando Henrique Cardoso, ordnete die Räumung an. Zwei Einheiten der Militärpolizei nahmen die Landlosen in die Zange und eröffneten das Feuer.

19 Menschen wurden erschossen, 69 teils schwer verletzt. Die Aufnahmen eines Fernsehteams schockierten die Nation. Doch bis heute ist das Massaker ungesühnt geblieben. Im August 1999 sprach ein Geschworenengericht in Belém die befehlshabenden Offiziere frei. Zwar wurde dieser Prozess aufgrund eklatanter Verfahrensfehler annulliert. Aber die Wiederaufnahme des Verfahrens lässt auf sich warten. Vor zwei Wochen gab der Oberste Gerichtshof dem Einspruch eines Angehörigen statt, der die Richterin für befangen hält.

Die Richterin Eva do Amaral sträubte sich ein Jahr lang, das wichtigste Beweismittel der Anklage zuzulassen – ein minutiöses Gutachten der Fernsehaufnahmen, aus dem klar hervorgeht, dass die Gewalt von der Militärpolizei ausgegangen war. Die Presse sollte keinen Zugang zum Gerichtssaal erhalten. Zuletzt erreichte die Staatsanwaltschaft, dass die Geschworenen neu ausgelost werden – die bisher vorgesehenen waren fast alle Angestellte der Landesregierung.

Anfang April hatten die Anwälte der Landlosen beim Obersten Gerichtshof einen weiteren Aufschub erwirkt. Doch die Justizbehörden von Pará stärkten am vergangenen Montag ihrer Kollegin den Rücken und drängen nun auf eine rasche Wiederaufnahme. Für den jungen Anwalt Carlos Guedes liegt die Erkärung für die plötzliche Eile auf der Hand: Gouverneur Gabriels Amtzeit endet mit dem Jahr 2002 – und damit auch seine Immunität. Guedes ist fest davon überzeugt, dass Exekutive und Judikative in dieser Frage Hand in Hand arbeiten.

Vielen Überlebenden wie José Sebastião de Oliveira machen die Folgen der Schusswunden im rechten Unterschenkel noch heute zu schaffen – ganz abgesehen von den psychischen Folgen. Der 53-Jährige ist arbeitsunfähig. Im Gegensatz zu anderen Opfern erhält er immerhin eine Rente von umgerechnet 150 Euro. Doch die Landesregierung sei bis heute nicht dazu bereit, eine angemessene medizinische Begleitung zu garantieren. „Wir möchten einfach nur menschenwürdig behandelt werden“, sagt Oliveira, der sich auch dieses Jahr dem friedlichen Protest in Belém angeschlossen hat.

Meitor Geminiano, der zum Zeitpunkt des Massakers 18 Jahre alt war und ebenfalls von den Schüssen der Militärpolizisten getroffen wurde, hat völlig resigniert. Seine Großfamilie, die nach dem Massaker vier Grundstücke in einer MST-Siedlung zugewiesen bekam, möchte bald verkaufen und nach Paraguay auswandern.

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