Plädoyer des Pflanzenhassers

Die Freundschaft zwischen Mensch und Gewächs ist ein Märchen ohne Happy End

Allerlei Pflanzen bevölkern mein Heim wie mürrische Gäste. Keine Ahnung mehr, wer die alle reingelassen hat

Ich bin eigen, zugegeben. Pinkele ins Waschbecken. Und meide die Menschen. Tiere? Nur, wenn sie rechtschaffen kreuchen und fleuchen. Wie Lionel, meine dressierte Vogelspinne, die abends die Wände entlang kreucht und überall das Licht ausmacht. Oder meine fluoreszierende Qualle namens aequorea victoria, die in einem Glas auf meinem Nachtisch fleucht und mir als Leselampe dient. Darum wird es nicht verwundern, wenn ich mich hier in aller Deutlichkeit auch gegen Pflanzen ausspreche.

Aus politischen Gründen habe ich dem steten Zuzug Asyl suchender Gewächse aus dem Pflanzenreich lange tatenlos zugeschaut. Ein Fehler. Pflanzen bevölkern nun mein Heim wie mürrische Gäste. Keine Ahnung mehr, wer die alle reingelassen hat. Lästiges Zottelgestrüpp, phlegmatische Philodendren, ein antriebsloses Hanfgewächs und Seerosen in der Badewanne fristen in meinen vierundzwanzig Wänden ihr stumpfes Dasein.

Ich beachte sie kaum, sie lassen mich meistens in Frieden. Nur hin und wieder gelingt es dem versammelten Gestrüpp, mit vorwurfsvollen Braun- und Gelbtönen an meine verkümmerten Vatergefühle zu appellieren. Dann spendiere ich ein paar Tropfen Wasser, die ich einem alten Spüllappen abwringe. Was sie nicht umbringt, macht sie härter. Nein, das Verhältnis zwischen meinen Pflanzen und mir ist alles andere als herzlich und beruht auf Gegenseitigkeit.

Am Schreibtisch sitzt mir beispielsweise thuja gigantea im Nacken, ein raumgreifendes Monstrum, ein irrwitzig um sich wuchernder Lebensbaum. Er betrachtet sich offenbar als Grüne Lunge meiner Wohnung, ich ihn als Grüne Hölle. Von der esoterischen Unsitte sentimentaler Palaver mit Pflanzen halte ich nichts. Wir haben uns ohnehin nicht viel zu sagen. Zuletzt meldete er sich zu Wort, als beim Staubsaugen eines seiner fleischigen Blätter zwischen Parkett und Schuhsohle geriet – es klang wie ein deprimierter Seufzer. Ich heuchelte Betroffenheit, säuberte die Wunde mit hochprozentigem Alkohol und kühlte sie anschließend mit Eiswürfeln.

Rudimentäre Sympathien hege ich höchstens für Kakteen. Der Kaktus entspringt der Wüste. Wie der Islam! Ein Kaktus braucht überhaupt kein Wasser und verwahrt sich mit widerhakenden Stacheln gegen Zudringlichkeiten. Der Kaktus ist geheimnisvoll, selbständig und kratzt – die Katze unter den Zimmerpflanzen, solange sie nicht über die Stränge schlägt. Mein besonders zäher Küchenkaktus protzt alle Jubeljahre mit einer obszönen Blüte, auf die er sehr stolz zu sein scheint. Dann stelle ich ihn neben einen Strauß spektakulärer Orchideen, um seine Eitelkeit zu dämpfen.

Schnittblumen lege ich mir ohnehin gerne zu, um mich an ihrem schleichenden Siechtum zu ergötzen. Recken sie sich anfangs noch eifrig nach jedem Sonnenstrahl, so legt sich die Euphorie nach wenigen Tagen und weicht bald einer brütenden Teilnahmslosigkeit, an deren Ende die Blätter rieseln – florale Vergänglichkeit als perfektes Symbol der Entropie, sic transit gloria mundi. Übrigens ein Prozess, der sich durch die Verwendung von Spiritus statt Wasser sogar im Zeitraffer beobachten lässt.

Einmal bin ich sogar mit der Neuköllner Linde vor meinem Balkon aneinander gerasselt, als ich beim testweisen Feuerspucken den meterlangen Gluthauch unterschätzte. Keine drei Sekunden knisterte es lichterloh durchs Gezweig, erhellte die Straße, Vögel flohen ihre Nester – und der Herbst beginnt für diese Linde seitdem drei Monate früher, sei’s drum.

Härter im Nehmen ist ein mit allen Wassern gewaschener Gummibaum (ficus elastica), dem das Plätzchen vor meinen Boxen reserviert ist. Dort steht er schon so lange, dass nicht mehr Wasser für Wuchs und Wohlbefinden nötig ist, sondern Musik: bei Motörhead kann er ein unmerkliches Wippen nicht verkneifen – eine Pflanze mit Geschmack. Wie übrigens auch meine alkoholkranke Venusfliegenfalle, mit der ich mit jeden Abend eine halbe Flasche Jägermeister teile. Manchmal, wenn wir genug getrunken haben, dann schnappt sie übermütig nach meinem kleinen Finger und versucht auf der Stelle, ihn zu verdauen. Ich lasse sie gerührt gewähren. Träumen wir nicht alle manchmal vom Unmöglichen? ARNO FRANK