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Kein Herz für Wertherleiden

Es geht doch immer nur ums Ficken: In der Oberhausener Inszenierung von Tim Staffels „Werther in New York“ kommen romantische Langweiler unter multimediale Räder

Für Zoe zählen Sex und Erdbeereis. Vor allem das Eis. Für andere Dinge kann sie nur mit Mühe Interesse aufbringen. Doch eine Frage beschäftigt sie zumindest für einen Augenblick: „Wie ist das mit einem romantischen Mann?“ Picard, den sie das fragt, weiß keine Erklärung. Denn für ihn folgt das Paarungsverhalten einer klaren Grundregel: „Es geht immer nur ums Ficken.“

Die Frage, wie das heutzutage so sei mit einem romantischen Mann, muss auch Tim Staffel beschäftigt haben. Wohl deswegen hat er den Romantiker Werther mit Typen wie Zoe und Picard in ein Stück gesperrt. Ein mutiges Experiment, das kein eindeutiges Ergebnis liefert. Einerseits könnte man behaupten: Das ist eine schlimme Sache mit dem romantischen Mann. Denn er kommt ziemlich unter die Räder: In „Werther in New York“ ist der Titelheld der Einzige, den seine geliebte Lotte nicht ranlässt, und am Schluss hat er natürlich eine Kugel im Kopf.

Andererseits ist so ein Tod nicht das Schlechteste. Denn Staffels Texte beziehen ihre Energie zu einem großen Teil aus der Collagierung von Popkulturposen, aus Rappermachismo oder Killerlakonie: „Gib mir fünf, Werther.“ Das beste Filmzitat gewinnt. Eine Figur, die sich effektvoll das Hirn rausbläst, kann ordentlich punkten.

In der Oberhausener Inszenierung von „Werther in New York“ ist der Held allerdings nicht besonders cool. Kay Voges, der Regisseur, hat sich bemüht, auf Zoes Frage eine deutlichere Antwort zu finden als der Autor. Er behauptet den romantischen Mann als tragische Figur: als sympathischen Typ, der draufgeht, weil er das Spiel der anderen nicht beherrscht.

Voges lässt Werther ausführlicher zu Wort kommen, als der Text es eigentlich vorsieht. Statt lockerer Oneliner trägt Juan Manuel Torres y Soria verschiedene Erkenntnisse aus Werthers echten Briefen made by Goethe vor. Er macht Ernst mit der Romantik. Er schickt weiche Blicke in die Tiefe des Raums. Ganz weit streckt er seinen Arm Lotten und den Sternen entgegen.

Werther ringt durchaus um den adäquaten Ausdruck für seine Leidenschaft: Während seine Kumpel Sprüche klopfen, notiert er Poetisches auf einen Pizzakarton. Er bricht auch einmal mitten in einem Goethe-Satz ab, wenn er ihn plötzlich unglaubwürdig findet.

Trotzdem kann man seine Passion nicht glauben. Schon weil er sich auf dem falschen Parkett bewegt. Wenn er in einem klassischen Guckkasten erschiene, ginge sein Schwärmen noch an. Aber Kay Voges hat die Barrieren zwischen Zuschauern und Schauspielern beseitigt. Das Publikum sitzt an Kneipentischen auf der Bühne, gespielt wird direkt dazwischen oder nahebei auf kleinen Podesten. Die fiktionalisierende Distanz fehlt, und umso theatralischer wirkt der Romantiker.

Die anderen Figuren hingegen können in dieser Situation ihren Charme entfalten. Denn sie sind auch in Oberhausen die Selbstdarsteller, als die Staffel sie entworfen hat, und als solche in der Barsituation gut aufgehoben. Die Sitzordnung und das Dosenbier, das am Eingang zu haben ist, befördern die passende Rezeptionshaltung: Amüsiert sieht man Hendrik Richter dabei zu, wie er den Zyniker Picard mit Absonderlichkeiten ausstattet, wie er – ohne erkennbaren Anlass – pantomimisch ein Raumschiff beschleunigt oder sich an einem Ton festpfeift. Und hat man mal genug, weil Juan Carlos Lopez in der Rolle des Anästhesisten Albert schon wieder seine Stimme zu einem Babyquietschen hochdrückt, kann man immer noch den Blick schweifen lassen: Zuschauer begucken oder die Leinwände, die zeitweise das Geschehen kommentieren, oder die Musiker (Markus Maria Jansen und Markus Türk), die von ihrer Ecke aus Songs einwerfen.

Zwar könnte die Inszenierung noch dichter sein – statt zusammengefügt sind ihre multimedialen Bausteine oft nur aneinander gereiht –, aber man ist doch gut unterhalten. So gut, dass man sich ungern nach Werther umsieht, dem Langweiler. Und wenn er sich nach Liebesenttäuschungen und einem unerfreulichen Banküberfall das Leben nimmt, ist das irgendwie auch nicht so schlimm. So ist das, mit dem romantischen Mann: Wenn er gegen geübte Selbstdarsteller antreten muss, hat er schlechte Karten. Er wäre besser gefahren, wenn er zumindest ein paar Tricks bei den Herren McGregor und DiCaprio abgeguckt hätte, statt beim alten Goethe nachzuschlagen. MORTEN KANSTEINER

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