IN DER NEUEN REGIERUNG BEKOMMEN DIE LIBERALEN ENORMEN EINFLUSS
: Chancen für die Entstaatlichung Ungarns

Knapp ist Ungarn der Gefahr entronnen, weitere vier Jahre von Viktor Orbán regiert zu werden: mit seiner rechtsnationalen, halbautoritären Klientelordnung, in der demokratische Institutionen ein Feigenblatt sind. Zugleich aber stellt es einen geradezu glücklichen Umstand für das Land dar, dass die Sozialisten nicht wie schon 1994 die absolute Mehrheit gewonnen haben. Anders als damals wären die Liberalen des „Bundes Freier Demokraten“ diesmal kaum mehr eine Koalition eingegangen, in der sie vor allem für das Image sorgen sollten. In einem neuen Kabinett können sie nun mit Nachdruck ihre Werte und ihr politisches Programm einbringen.

Anders als die Jungdemokraten und die Sozialisten, die ideologisch und programmatisch mehr oder weniger diffus sind, ist der „Bund Freier Demokraten“ die einzige ungarische Partei, die ihren Namen tatsächlich verdient. Gegründet 1988 als Bürgerrechtspartei, hat sie seither gezeigt, dass sie selbst als Partei in der Regierungsverantwortung zu ihren Grundwerten steht: zu einem politischen und wirtschaftlichen Liberalismus, der soziale Belange nicht ignoriert.

Denn die Freidemokraten stehen als einzige Partei für das, was der Begriff der Zivilgesellschaft meint. Zwölfeinhalb Jahre nach 1989 braucht nicht nur Ungarn, sondern brauchen alle früheren Ostblockländer noch immer eine weitreichende Entstaatlichung ihrer Gesellschaften und ihrer politischen Ordnungen. Überall dort sind große Mehrheiten auf den Staat als einzigen Verwalter ihrer Zukunft fixiert – nicht paradoxer-, sondern logischerweise, ohne dass die Betreffenden wüssten, welche Möglichkeiten zur Teilhabe sie in diesem Staat genießen. Dass das so ist, zeigen seit Jahren Wahlen, bei denen abwechselnd staatsorientierte Parteien gewinnen, die sich bald national und konservativ, bald sozialistisch und sozialdemokratisch nennen – und die mit ihrem Populismus jedes Mal enttäuschte Hoffnungen hinterlassen. In Sammelparteien, wie sie in Ungarn die Jungdemokraten und Sozialisten darstellen, haben sich ebenso mächtige wie unpolitische Oligarchien zusammengeschlossen, die den Staat und seine Institutionen als Instrument zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Interessen brauchen. Zu mehr nicht.

Parteien wie die Liberalen in Ungarn könnten das ändern. Indem sie einerseits als regierende Kraft ein politisches Klima schaffen, in dem die Institutionen des demokratischen Staates stärkere Bekanntheit und stärkeres Vertrauen in der Gesellschaft genießen. Und andererseits, indem sie die immer noch riesige Erwartungshaltung an den Staat rücksichtsvoll, aber konsequent abbauen.

KENO VERSECK