Triumph über die Kleinstaaterei

von RALPH BOLLMANN

Kaum etwas hatte der südbadische Staatspräsident Leo Wohleb unversucht gelassen, um die Länderfusion mit den verhassten Schwaben zu verhindern. „Badener und Badenerinnen, denkt an die Zukunft eurer Kinder“, warnte der Freiburger Politiker, „wenn ihr das kostbare Erbe des freien Landes Baden verschenkt und verschleudert!“

Vergebens. Am 25. April 1952, morgen vor 50 Jahren, konnte der Schwabe Reinhold Maier als erster Ministerpräsident die Gründung des neuen Bundeslandes verkünden. In drei der vier künftigen Regierungsbezirke hatte es bei der Volksabstimmung eine klare Mehrheit für die Fusion gegeben. Dass 52,2 Prozent der Badener das gemeinsame Land ablehnten, spielte nach dem Abstimmungsmodus keine Rolle – eine „Vergewaltigung“ Badens, wie der Freiburger Staatschef Wohleb glaubte: „Die politische Lage im Südwestraum ist unhaltbar geworden.“

Eigentlich sollte die Fusion im Südwesten nur der Auftakt für eine völlige „Neugliederung des Bundesgebiets“ sein, wie sie das Grundgesetz damals zwingend vorschrieb. Aber das Gezerre, das es zwischen Badenern und Württembergern gab, wirkte auf Politiker in anderen Regionen nicht gerade ermutigend. Und nirgends gab es eine Grenze von solch absurder Künstlichkeit, die einen Zusammenschluss geradezu erzwang: Entlang der Autobahn, die Württemberg und Baden jeweils in der Mitte zerschnitt, hatten sich Amerikaner und Franzosen den Südwesten aufgeteilt.

Andernorts wurde der alliierte Länderzuschnitt schon bald akzeptiert. Das Eigenleben, das selbst Kunstprodukte wie Rheinland-Pfalz schnell entwickelten, musste der Bund schließlich akzeptieren: Nach zwei vergeblichen Reformanläufen in den Fünfziger- und Siebzigerjahren verwandelte er die Pflicht zur Neuordnung 1976 in eine windelweiche Kann-Bestimmung. Dabei ist den meisten Politikern heute klarer denn je, dass die bestehende Länderstruktur kaum noch haltbar ist. Während große Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen prosperieren, rutschen die kleinen Länder trotz üppiger Finanzhilfen immer tiefer in die Schuldenfalle. Bremen und das Saarland hängen längst am Tropf, bald will auch der Stadtstaat Berlin die Bundeshilfe einklagen.

Im Bundesrat hängt die Zustimmung zu wichtigen Gesetzen von Kleinstaaten ab, die nur einen winzigen Anteil der bundesdeutschen Bevölkerung repräsentieren – wie zuletzt bei der Zuwanderung. Noch schlimmer ist es auf dem Feld der Kultur: Hier hat es der Bundesbeauftragte Julian Nida-Rümelin mit 16 Ministerpräsidenten und Ressortchefs zu tun, die eifersüchtig über ihre kulturellen Kompetenzen wachen – ohne dass sie ihren Anspruch auch bezahlen wollten.

Deutschland könne sich „die Kosten der Kleinstaaterei nicht mehr leisten“, warnte vor Jahren schon Henning Voscherau (SPD), damals Bürgermeister des fusionsbedrohten Hamburg. Bremen und das Saarland seien „schon lange nicht mehr lebensfähig“, verkündete fast zeitgleich der damalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP). Und Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU), der die Zwergstaaten nicht länger per Finanzausgleich alimentieren will, fand „die eine oder andere Fusion“ nach südwestdeutschem Vorbild „unumgänglich“.

Die Hoffnung schwand am 5. Mai 1996 – dem Tag, als in Berlin und Brandenburg der erste Fusionsversuch seit 1952 scheiterte. Wie einst die Badener, fürchteten diesmal die Brandenburger eine feindliche Übernahme durch den Partner mit der größeren Einwohnerzahl. „Wir haben uns diebisch gefreut“, gestand Henning Scherf, Bürgermeister im fusionsbedrohten Bremen.

Je kleiner und klammer ein Bundesland ist, desto mehr Emotionen sind mit seiner Existenz verbunden. Das gilt nicht nur für Brandenburg. Scherf wird nicht müde, zu betonen, Bremen sei „eine der ältesten Republiken der Erde“. Und wenn der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) bei passender Gelegenheit in den örtlichen Dialekt verfällt, verbieten sich Spekulationen über die Zukunft des ärmsten Bundeslandes von selbst.

An der Existenz der Kleinstaaten hängen tausende Jobs in Politik und Verwaltung, bei Firmen und Verbänden. Vom Chef des Landesarbeitsamts bis zum Landesvorsitzenden des Naturschutzbundes, vom Fernsehintendanten bis zum Landtagspräsidenten müssten Funktionsträger auf allen Ebenen um Prestige und Einfluss bangen. „Die Bereitschaft, sich selbst abzuschaffen“, hat der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis beobachtet, „ist nicht hoch entwickelt.“

Die einzigen Volksbegehren, die seit 1952 klare Mehrheiten erbrachten, zielten auf die Restitution bereits abgeschaffter Vorkriegsländer. Die Einwohner von Oldenburg und Schaumburg-Lippe etwa votierten 1975 für ihre Unabhängigkeit von Niedersachsen. Die Bundespolitiker hatten jedoch keine Lust, auch noch mit einem Ministerpräsidenten aus Bückeburg um Bundesratsstimmen zu feilschen. Sie lehnten das Ansinnen mangels „Größe und Leistungsfähigkeit“ der angestrebten Länder ab.

Einzig in Berlin und Brandenburg haben die Politiker das Ziel einer Länderfusion trotz des Rückschlags vor sechs Jahren noch nicht aufgegeben – auch wenn Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm von Zeit zu Zeit gegen das Projekt zu Felde zieht: Erst wegen des rot-roten Senats in der Hauptstadt, dann wegen des Berliner Schuldenbergs, den das neue Bundesland im Fusionsfall übernehmen müsste.

Eines kann die Hauptstadtregion beim Blick nach Südwesten immerhin lernen: Schon nach wenigen Jahrzehnten lassen die alten Animositäten spürbar nach. Bei einer Straßenumfrage zum vierzigjährigen Landesjubiläum 1992 waren Passanten im badischen Karlsruhe sogar bereit, ihren schwäbischen Nachbarn positive Seiten abzugewinnen. „Ich hab auch nette Schwaben kennen gelernt“, gestand einer der Befragten. Und eine Frau fügte hinzu: „Das sind genauso Menschen wie wir auch.“