Die Botschaft heißt Schröder

Auf den 153 Seiten ihres Wahlprogramms vollbringen die Sozialdemokraten das stilistische Wunder, ein Konzept ohne jedes Konzept vorzulegen

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Die SPD ist fast 150 Jahre alt, aber sie verhält sich wie ein Erstsemester. Wie ein Student bei seiner ersten Hausarbeit scheinen die Sozialdemokraten zu glauben, dass Ideenmangel nicht auffällt, wenn er nur möglichst umfangreich ausgebreitet wird. Ein Konzept ohne Konzept – dieses stilistische Wunder vollbringt die SPD auf 153 Seiten. So mühevoll lang ist ihr Entwurf zu einem Wahlprogramm. Offiziell nennt es sich unbescheiden-zuversichtlich „Regierungsprogramm“ und wird heute von Gerhard Schröder vorgestellt.

Die Nachricht ist eher das Atmosphärische. So adoptiert schon die allererste Kapitelüberschrift einen grünen Kernbegriff. „Politik muss nachhaltig sein“ – das findet jetzt auch die SPD. Botschaft an den Leser: Rot-Grün ist auch ohne Grün möglich. Passend schmückt man sich mit dem Ausstieg aus der Atomenergie oder mit der Ökosteuer. Allerdings ist klar: 2003 wird die letzte Steuerstufe umgesetzt.

Aber das ist ja immerhin eine eindeutige Aussage. Bei der Verteidigungspolitik hat die SPD als Kernerkenntnis zu bieten: „Wir sind ein normales Land geworden.“ Man will sich schon deswegen verstärkt an UN-Friedenseinsätzen beteiligen. Doch mit welcher Ausrüstung? Zur Unterfinanzierung der Bundeswehr, von allen Experten und Generälen beklagt, schweigt das Papier. Es begnügt sich mit einem Bekenntnis zur Wehrpflicht: Sie „bleibt“.

Nicht überraschend: Die Arbeitsmarktpolitik gilt als „Aufgabe Nr. 1“. Doch stimmt bedenklich, dass das Programm zuallererst und mehrmals das „Bündnis für Arbeit“ herausstreicht. Denn es hat sich zum letzten Mal im Januar getroffen. Ohne Ergebnis, dafür aber wie immer mit viel Streit. Diese kontroversen Erfahrungen werden vom neuen SPD-Programm durchaus berücksichtigt – indem es einfach die Ziele des Bündnisses herunterschraubt.

Andere Arbeitsmarktinstrumente wie Steuersenkungen oder Investitionsprogramme werden bestenfalls angedacht. Denn: „Die Konsolidierung der Staatsfinanzen bleibt unverzichtbar.“ Allerdings wird erstaunlicherweise erst für 2006 ein „ausgeglichener Bundeshaushalt“ angepeilt. Dies scheint sich nicht so ganz mit den jüngsten Zusagen des Finanzministers zu decken; er hatte der EU versprochen, die Neuverschuldung schon bis zum Jahr 2004 zurückzufahren.

Auf eine nahe liegende Sparidee stößt auch das SPD-Programm: Subventionen sollen abgebaut werden. Es fragt sich allerdings, wo. Die Kohle wird jedenfalls ausdrücklich ausgenommen. Keinesfalls will man die Kumpel und Wähler im Ruhrpott verärgern.

Genauso vage bleibt das Programm bei der „Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“. Hier heißt es nur: Die „materielle Sicherheit“ der Langzeitarbeitslosen werde „nicht in Frage gestellt“. Das kann alles bedeuten. Auch Sozialhilfe für alle.

Etwas konkreter ist das Kapitel Bildungspolitik. Bis zum Jahr 2007 soll es 10.000 zusätzliche Ganztagsschulen geben. Und das Kindergeld wird schrittweise auf 200 Euro angehoben – was der Steuerersparnis bei Spitzenverdienern durch die Kinderfreibeträge entspricht. Eine Reform des Ehegattensplittings soll beides finanzieren. Dafür fehlen andere konkrete Zahlen. So peilt Wissenschaftsministerin Bulmahn an, bis zum Jahr 2005 den Anteil der Professorinnen auf 20 Prozent zu verdoppeln. Doch obwohl so oft angekündigt, wird es nun verschwiegen.

Genauso fehlt, dass Schröder dem öffentlichen Dienst im Osten versprochen hat, dass dort ab dem Jahr 2007 Westlöhne gelten sollen. Jetzt heißt es nur noch „bald“.

Bekanntlich werden Parteiprogramme von Wählern nicht gelesen. Man versteht, warum.