Eine himmlische Gang

Soul und Rap für die Konflikte heranwachsender Großstädter: Das Jugend-Musical „Engel wie wir“ im BKA-Luftschloss

„Einmal im Licht“ möchte sie stehen. Von allen begehrt, nie mehr allein sein. Michele träumt davon, berühmt und ein richtiger Star zu sein. Die 17-jährige Claudine Matthée aus Weißensee steht ganz allein auf der leeren Bühne, ihr bodenlanges leuchtendrotes Glitterkleid strahlt im Scheinwerferspot. Für drei Minuten steht sie tatsächlich im Licht und anders als die von ihr verkörperte Michele hat sie sich den Wunsch nach Glamour und Show ein Stück weit erfüllt. Nach ihrer Solonummer bricht orkanartiger Jubel im BKA-Schloss aus und auf ihrem Gesicht sieht man die Anspannung weichen und ein leichter Anflug von Lächeln zieht sich auf.

Claudine Matthée ist eine von vierzehn Berliner Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren, die in knapp sechs Monaten ein eigenes Musical auf die Bühne gestemmt haben. Sie wohnen in Kreuzberg und Schöneberg, in Neukölln und Mitte; sie sind Schüler und Auszubildende, Deutsche, Türken, Polen und Ungarn. Das Stück, das sie geschrieben haben, handelt von den Sehnsüchten Heranwachsender in einer Metropole wie Berlin, und von ihren Problemen: Drogen und Gruppenzwang, falsche und richtige Straßengangs, und die Schwierigkeit, den eigenen Weg ins Leben zu finden.

Entstanden ist das Popmusical im Rahmen der Arbeit von Gangway e. V., einem Berliner Straßensozialarbeitsprojekt, das dafür rund 35.000 Euro locker machte. Von den betreuten Jugendlichen durfte mitmachen, wer sich darauf einließ, während der monatelangen Vorbereitung sehr viel Freizeit und manches Wochenende in das Stück zu investieren. Für die Verwirklichung standen ihnen professionelle Kräfte zur Seite. Allen voran die Berliner Chansonette Tanja Ries. Sie hat mit dem Jugendlichen die Story entwickelt und die Liedtexte erarbeitet, die sich ohne Scheu vor Sentimentalität offen zum Gefühl bekennen.

Für die Musik war Ries mit ihrem musikalischen Begleiter Florian Grupp zuständig. Die stürmische Begeisterung des Premierenpublikums im berstend gefüllten Theaterzelt hatte gute Gründe: Zeitgemäße Beats unterstützen die eingängigen Anleihen aus Rap und Soul. Jeder zweite dieser Songs wäre wahrscheinlich VIVA- tauglich. Breit und kunstvoll geschichtete Chor- und Solopartien finden in den energiegeladenen Tänzen (Choreografie Katrin Grebner vom Dock 11) ihren körperlichen Ausdruck. Zudem hatte sich die Filmregisseurin Esther Gronenborn („alaska.de“), unter deren und Ben Beckers Schirmherrschaft das Projekt steht, die Zeit genommen, um an den schauspielerischen Fähigkeiten der jungen Akteure zu feilen.

Mit Erfolg: „Engel wie wir“ ist ein klassisches Ensemblewerk und doch hat jeder auch seinen Soloauftritt. In kurzen Monologen und Songs werden knapp und treffend die Charaktere gezeichnet, aus denen sich die lockere Rahmenhandlung ergibt. Da sind „Mädchen aus besserem Hause“, die sich nie einen Jungen aus der Partygang nehmen würden. Die trinken das Bier aus der Flasche und werden nie genug Geld verdienen. Aber was, wenn sich ein türkischer Junge aus jener Clique ausgerechnet in ein solches Mädchen verliebt?

Während die Jugendlichen erzählen, erscheinen auf einer großen Leinwand dazu kurze Videoclips mit Spielszenen und hinter tristen, grauen Hochhaustürmen rauscht die S-Bahn vorbei. Von Ferne erinnert der Bandenkonflikt an die „West Side Story“, aber eben nur von fern. „Engel wie wir“ ist ein eigenständiges Kaleidoskop der gegenwärtigen Jugendkultur. Alltag zwischen Charlottenburg und Friedrichshain. AXEL SCHOCK

Bis 5. 5., nächste Vorstellungen 24.-27. 4., 20 Uhr, BKA-Luftschloss, Schlossplatz/ Unter den Linden, Kartentelefon: 2 02 20 07