Generalstreik legt Nepal lahm

Im Himalaja-Königreich tragen die Maoisten mit einem Generalstreik ihren Bauernaufstand in die Städte. 1.800 Tote in den vergangenen vier Monaten

DELHI taz ■ Ein von den Maoisten ausgerufener fünftägiger Generalstreik legt seit Dienstag Nepals Städte lahm. Damit wollen die Rebellen ihren Bauernaufstand in die Städte tragen. Die Regierung hatte die Bevölkerung unter Strafandrohung aufgefordert, dem Streik keine Folge zu leisten. Doch außer den geöffneten – wenn auch menschenleeren – staatlichen Büros blieben die meisten Geschäfte geschlossen. In den Straßen fuhren vor allem Militärpatrouillen. Die wenigen verkehrenden Busse und Taxis hatten ihre Nummernschilder überklebt, um nicht von den Rebellen identifiziert und später bestraft zu werden.

Allein in den letzten vier Monaten fielen dem maoistischen Aufstand über 1.800 Menschen zum Opfer, so viel wie in den fünf Jahren zuvor. In den letzten zehn Tagen starben über 330 Menschen. Die hohe Zahl der Toten ist ein Indiz für das harte Vorgehen beider Seiten. Ein drastisches Beispiel bildete der Angriff vom 12. April auf die Residenz des Ministers für innere Sicherheit im Dorf Satbariya im Dang-Bezirk, rund 325 Kilometer westlich von Kathmandu. 54 Polizisten und Zivilisten starben bei der Verteidigung des Gebäudes.

Als sich die restlichen Überlebenden ergaben, wurden sie geköpft. Über die Zahl der gefallenen Rebellen gab es keine verlässlichen Angaben, da die Aufständischen ihre Toten mitnehmen. Später wurden dann in der Nähe Massengräber mit angeblich über 200 Leichen entdeckt. Die wohl zur Vermeidung einer Identifizierung enthaupteten Körper ließen vermuten, dass es gefallene Maoisten waren.

Die hohe Zahl getöteter Rebellen ist auf den erstmaligen Einsatz der Armee und die verbesserte Ausrüstung der Polizei zurückzuführen. Zudem wiegen die Guerillaführer die schlechte Bewaffnung ihrer Kämpfer dadurch auf, dass sie Wellen von Angreifern ohne Rücksicht auf Verluste ins feindliche Feuer werfen. Diese Grausamkeit mag auch die hohe Akzeptanz von Töten und Sterben in Nepals Stammeskultur ausdrücken, wie sie sich etwa im kriegerischen Ruf der Gurkha-Soldaten spiegelt. Trotz hoher Opfer ist die Guerilla bisher erstaunlich diszipliniert. Doch Beobachter fragen sich, wie lange die Maoisten sich noch einen so hohen Blutzoll erlauben können, bevor in den eigenen Reihen Unruhe entsteht. Gerüchten zufolge gibt es zwischen den städtischen, hochkastigen Ideologen und einigen militärischen Führern aus den Volksstämmen bereits Spannungen.

In einer versöhnlichen Ansprache zum Frühlingsbeginn hatte König Gyanendra an die Rebellen appelliert, wieder zu verhandeln, wie sie dies letztes Jahr bereits einmal getan hatten. Falls der Krieg weitergehe, werde sich die Wirtschaft, namentlich der Tourismus, vollends in einen Scherbenhaufen verwandeln. Es gibt erste Anzeichen, dass sich auch die Maoisten über ihre Strategie Gedanken machen. In einer erstaunlichen E-Mail versichte deren Chefideologe Baburam Bhattarai kürzlich ausländischen Touristen, sie seien in Nepal weiterhin willkommen. Der „Revolutionäre Volksrat“ sei sich bewusst, dass die Nutzung des natürlichen und kulturellen Reichtums wichtig für eine rasche wirtschaftliche Entwicklung sei. Reisende hätten nichts zu befürchten, müssten aber vermeiden, die Etablissements des „erzreaktionären Shah-Rana-Clans“ (d. h. der Königsfamilie) zu nutzen. Alle Touristen seien herzlich eingeladen, „revolutionäre Basislager“ in den befreiten Gebieten zu besuchen.

Die bereits im letzten Jahr um ein Drittel gesunkenen Besucherzahlen gehen weiter zurück. Auslandische Investoren, die für einen respektablen Standard in der Tourismus-Infrastruktur gesorgt hatten, sehen sich nach Käufern um. Hilfsorganisationen machen Evakuierungsspläne. An die Stelle der Touristen treten jetzt Militärs. Die USA zweigten Waffen, Kommunikationsmittel und Fluggeräte aus den für Afghanistan bestimmten Beständen nach Nepal ab. Amerikanische NGO-Vertreter in Kathmandu behaupten, die Zahl der US-Militärberater sei markant gestiegen. BERNARD IMHASLY