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Schluss mit langweiligen Träumen

■ Russen-Diskos sind in Berlin: Die Partys des Datscha-Projekts – seit einem Jahr konkurrenzlos in Hamburg

Dass Arbeit im Freien eine gesunde Abwechslung zum Depressionen hervorrufenden (post)in-dustriellen Alltag bringen kann, haben uns mit Erfolg Generationen deutscher Schrebergärtner bewiesen. Dass es auch andere Methoden gibt, um aus dem Joch des genannten Alltags auszubrechen, und dass eine Datscha trotz manch äußerer Ähnlichkeiten kein Schrebergarten ist, versucht den Hamburger Partygängern seit nun knapp einem Jahr das Datscha-Projekt zu beweisen.

Das Projekt ist eine Initiative von sechs in der Hansestadt lebenden Bürgern Russlands, die nicht länger darauf warten wollten, bis die vom allgemeinen Desinteresse an Osteuropa genährte kulturelle Entfernung unüberwindbar wird. Als Mittel im gerechten Aufklärungskampf dienen, wie zu Agitprop-Zeiten, Film, Kunst und Musik. Letztere bildet auch den Schwerpunkt der vom Projekt regelmäßig veranstalteten Partys, dem Volk als Datscha-Partys bekannt.

Weitab von den blöden Russland-Klischees und der gelangweilten Coolness des trendigen Szenebetriebes begegnet man hier der osteuropäischen Party-Kultur in einer Form, die hierzulande bisher kaum vorzufinden war, nämlich so, wie sie tatsächlich in den Ursprungsländern zelebriert wird. Keine kitschige Exotik also und keine „Ostalgie“, dafür aber ein echter Ostblock-Drive.

Gespielt wird eine kräftige Mischung aus Ska, Independent, Sowjet-Easy-Listening und russisch-serbisch-ukrainisch-jüdischem Zigeuner-Punk. Dabei bekommt man neben inzwischen auch hier gut bekannten Klängen (Auktyon, Bregovi, Fanfare Cio-carlia, Messer für Frau Müller, No Smoking Orchestra) viel Neues, aber nicht weniger Schräges zu Gehör (wie Leningrad, Vopli Vidoplasova oder die heute live auftretende Band La Minor).

Es wird getanzt – viel, kraftvoll, selbstvergessen und mit Gefühl. Spontane Freundschaften werden geschlossen. Und überhaupt scheint das Ganze endlich mal das alte russische Sprichwort zu widerlegen, laut dessen das, was für einen Russen gut ist, für einen Deutschen den Tod bedeutet. Eine „uncoole“ Datscha mitten in einer Schrebergartenlandschaft. Und eine Leichtigkeit des Seins da, wo sie wohl keiner vermutet hätte.

„I think, this is the beginning of a beautiful friendship“, heißt es am Ende eines bekannten Films eines bekannten serbischen (Musikers und) Regisseurs. Na, dann eben gleich ein anderes Emir-Kusturica/ No Smoking Orchestra-Zitat: „Wake up, wake up crowd, wake up from your boring dream!“

Alexander Mirimov

Einjähriges (mit La Minor): heute, 21 Uhr, Fundbureau (La Minor auch So, 21 Uhr, Schilleroper)

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