Am besten im Westen

Die Hinterhöfe und ihre zentrale Rolle in der urbanen Kunst: Das Kerngebiet der Berliner Fotowelt ist der Hinterhof - doch viele Galerien kämpfen um ihre Existenz. Ein Streifzug

Heinz Bude, Soziologe und Stichwortgeber der „Generation Berlin“, orakelte vor gut einem Jahr, die Innovationskraft Berlins liege in den Hinterhöfen verborgen. Gut möglich, dass er sich auf die vielen Fotogalerien bezog, die sich in Berlin vornehmlich hinter Hofeinfahrten und Autostellplätzen verbergen.

Jüngstes Beispiel ist hierfür die gerade eröffnete Galerie von c/o Berlin auf dem Gelände der alten Gießerei in der Linienstraße. Der etwas fremd klingende Name c/o stammt noch aus den Tagen, in denen das Drei-Mann-Team um den Fotografen Stephan Erfurt viel beachtete Fotoausstellungen im alten Posfuhramt an der Oranienburger Straße veranstaltete. Mit Präsentationen zu Magnum oder Martin Parr ließ man hier vor über einem Jahr dem Medium Fotografie viel Aufmerksamkeit zukommen.

In den hellen, von puristischen Säulen gestützten Ausstellungsräumen will man zugleich dem Endlosversprechen „Deutsches Centrum für Photographie“ (DCP) ein kleines Stück entgegenarbeiten. Dort haben sich die Beteiligten mittlerweile auf eine abgespeckte DCP-Version an der Kunstbibliothek eingelassen, doch bis auf die Ankündigung einer Ansel Adams Retrospektive im Herbst 2002 ist von der Arbeit des Centrums nichts weiter zu bemerken. Dagegen entwickelt c/o Berlin für eine private Unternehmung mit dem Aufbau einer Präsenzbibliothek oder einem mietbaren Tageslichtatelier recht beachtliche Initiativen.

Dass das eigentliche Kerngebiet der Berliner Fotowelt der Hinterhof ist, scheint man auch in der Charlottenburger Galerie Camerawork zu wissen. Die 1996 gegründete Galerie ist mit Klassikern wie Helmut Newton, Herb Ritts oder Horst P. Horst von Anfang an nicht nur im High-End-Bereich der Fotografie, sondern zudem in einem extrem noblen Hinterhaus an der Kantstraße angesiedelt. Galerist Karl-Heinz Lobojanski beurteilt den seither zu beobachtenden Galerienboom in der Fotoszene durchaus positiv. Als Markt für Fotografie sei Berlin dadurch erst wirklich wahrgenommen worden. Häuser wie Bodo Niemann oder Kicken haben dafür gesorgt, dass sich überhaupt eine belebte Szene in der Stadt entwickeln konnte. Dennoch, so Lobojanskis Schätzung, sei man noch gut zwölf Jahre hinter dem US-amerikanischen Markt zurück.

Für den lokalen Kunstmarkt ist dies weiterhin ein Handicap. Schließlich schätzt man bei Camerawork, dass 40 Prozent der Verkäufe ins Ausland gehen und weitere 30 Prozent an ein finanzkräftiges Klientel im Westen der Republik. Im Westen also scheint es nach wie vor am Besten. Das betrifft wohl auch das Engagement der Länder und Kommunen. Angesprochen auf das Engagement der der öffentlichen Hand gibt’s bei Camerawork nur einen Satz: „Das ist eine Katastrophe“. Und da ist man dann wieder beim DCP und den gut 26.650 hochwertigen Fotografien, die laut eines Sichtungsberichts des Fotohistorikers Enno Kaufhold in den Archiven der Stadt teilweise vergammeln sollen.

Andere Sorgen hat man da schon in den kleineren Galerien. Hier muss man oft nicht nur das Medium über die Zeit retten, sondern schlichtweg die eigene Existenz. Bei der jungen Galerie Pernkopf oder bei Giedre Bartelt – beides Galerien, die für den Interessierten auch schon mal durch abseits liegendere Neuentdeckungen in Erscheinung treten –, wartet man immer auf den Sammler, der beim Besuch mit einem Schlag die eklatante Lücke in seiner Privathängung entdeckt. Dafür verstehe man sich weniger als Kunsthändler, als vielmehr als Kunstvermittler. Hehre Selbsteinschätzung, wäre da nicht die Crux, dass man die Kunst nicht essen kann. Schließlich ist da ja auch immer noch das Berliner Publikum und dem fehle es, so Giedre Bartelt, nach wie vor an einem gut betuchten Bürgertum. Und ihr Mann ergänzt: „Wer interessiert sich hier schon für Frauen mit Reiszwecken im Kopf?“ Er meint damit die aktuelle Ausstellung mit den Bilder des St. Petersburger Fotografen Andrej Chezhin, der in surrealistischer Manier Riesen-Reiszwecken in seine Fotos collagiert. Auch bei imago fotokunst lässt sich der Galeriebetrieb nicht durch denVerkauf von Fotografien aufrecht erhalten. Auch wenn man jemanden wie derzeit Erich Angenendt zeigt, einen Klassiker der nüchtern-sachlichen Industriefotografie. Vielleicht ist das aber auch ein Beispiel für die manchmal eklatante Schieflage des Marktes. Während es andernorts um den Stil der Düsseldorfer Becher-Schule boomt und man für deren Schüler wie etwa Andreas Gursky gerne mal 700.000 Euro auf den Tisch legt, liegt die vorgeschaltete Traditionslinie weiterhin im toten Winkel.

Nicht unschuldig daran mag da auch der nicht mehr zu durchdringende Dschungel aus Händlern und Galeristen sein. „In jedem Hinterhof macht man hier doch jetzt auf Fotografie“, so die Klage in der Galerie imago, „und Gutes sieht man dabei selten“. Will man in Berlin einfach mal Fotos gucken gehen, so braucht es schon der Gabe, die Spreu vom Weizen zu trennen. Solange aber die letzte große Ausstellung, an die sich das in der Fotografie so oft beschworene kollektive Gedächtnis noch erinnern kann, eine Geburtstagsfeier für Helmut Newton in der Neuen Nationalgalerie war, solange bleibt gültig, was sich die Galerie Camerwork auf ihre gerade erstellte Homepage geschrieben hat: „Hinterhöfe haben in der urbanen Kunst immer eine zentrale Rolle gespielt“. RALF HANSELLE