„Das ist wie St. Pauli und HSV“

Der Übersetzer Harry Rowohlt im Gespräch mit Ralf Sotscheck. Vorabdruck aus „In Schlucken-zwei-Spechte“

Ralf Sotscheck: Du giltst als Irland-Experte. Wie bist du das geworden?

Harry Rowohlt: Irland-Experte bin ich nur dadurch geworden, dass Irland 1996 der Themenschwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse war. Damals wurde ich dermaßen häufig zum Thema irische Gegenwartsliteratur interviewt, von der ich nicht den geringsten Schimmer habe, dass ich seither von meinem Irland-Wahn ein bisschen kuriert bin.

Aber du hast Flann O’Brien übersetzt. Dadurch wird man doch automatisch zum Irland-Experten.

Flann O’Brien gab es leider schon auf Deutsch. Bei Rowohlt. Da habe ich ihn auch kennen gelernt, 1966. Unter dem Titel „Zwei Vögel beim Schwimmen“, übersetzt von Lore Fiedler. Haffmans wollte eine neue Übersetzung von mir anfertigen lassen, und ich habe gesagt: „Das Buch ist aber so wunderbar übersetzt, das kann man doch gar nicht besser übersetzen.“ Haffmans sagte: „Ich wette, du kennst das Original nicht.“ Und ich: „Nein, das wollte ich mir bis zum Schluss aufsparen.“ Er wieder: „Und wenn du Idiot in einer Woche stirbst, was ist dann? Dann hast du ‚At Swim-Two-Birds‘ nicht im Original gelesen.“ Da hab ich einen Schreck bekommen und es tatsächlich im Original gelesen. Und festgestellt, dass in der Übersetzung von Frau Dr. Lore Fiedler etwa 1.400 Fehler waren.

Ich war mal auf der winzigen Insel, die in „At Swim-Two-Birds“ vorkommt. Du auch?

Im Gegensatz zu dir und deinem Freund Jürgen Schneider hab ich die Insel barfuß bestiegen, so dass ich anhand des Matsches, den man ja an meinem Füßen deutlich sah, weil ich meine New Yorker Maßsandalen trug, und anhand eines Steines, den ich dort aufgehoben habe, eindeutig beweisen konnte, dass ich da gewesen war.

Ich habe mich auf der winzigen Insel verlaufen, und Jürgen hat sich beim Anlegen des Bootes die Schulter ausgekugelt. Insofern war der Inselbesuch ein Fiasko. Aber ich bin ja auch weder Flann-O’Brien-Fachmann noch Frank-McCourt-Experte. Als wir unseren zehnstündigen Kneipenzug durch Hamburg begannen, hattest du ein Vorabexemplar von Frank McCourts Buch „Die Asche meiner Mutter“ unter dem Arm. Am Ende unserer Tour hattest du es nicht verloren, während ich kaum noch meinen Namen wusste. Da war mir klar, dass du das Buch sehr schätzt. Ich habe McCourt mal angerufen, um ihn zu interviewen, mich aber beim Zeitunterschied vertan. In New York war es vier Uhr morgens. Er war trotzdem sehr freundlich. Er hat dich gelobt, weil du der einzige Übersetzer warst, der das letzte Kapitel übersetzt hat, das ja nur aus einem Wort besteht: „’Tis.“

Ich bedenke im Gegensatz zu dir natürlich den Zeitunterschied, wenn ich mit Frank McCourt telefoniere. Ich habe ihn so angerufen, dass es in New York halb elf Uhr vormittags war, und voller Entzücken festgestellt, dass er um diese Tageszeit bereits besoffen war. Da habe ich mir gedacht, mit dem lässt sich arbeiten, ein guter Mann. Das wurde dann genau der Erfolg, den man ihm auch gewünscht hatte. Ich weiß gar nicht, wie oft ich beim Übersetzen geweint habe, aber mindestens fünfmal. Wenn Leute mich auf das Buch anquatschten, frage ich sofort: Wie oft geweint? Gute Leser sagen dann: fließende Übergänge.

Warum hast du bisher den „Ulysses“ nicht übersetzt?

Das ist völlig undenkbar, denn man ist entweder Flann-O’Brien-Fan oder Joyce-Fan. Beides zugleich geht nicht. Man steht entweder auf Beatles oder Stones, man steht entweder auf Gina Lollobrigida oder auf Sofia Loren. Beides hat in einem Menschenherzen keinen Platz. Das ist wie St. Pauli und HSV.

„In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege“, Edition Tiamat, 160 S., erscheint im Mai