Zu Hause bei den Schafen

Zwei Deutsche produzieren seit 1989 im County Waterford Käse. Das Geldverdienen fällt ihnen nicht leicht, weil der Verzehr von Käse in Irland keine Tradition hat. Sie sind mit ihrem Leben zufrieden, auch wenn das Gefühl der Fremdheit nicht ganz verschwunden ist. An Rückkehr denken sie nicht

von TILMAN VON ROHDEN

Irgendwann hat jeder den Kanal voll, dann ist Schluss. Bei Agnes und Wolfgang Schliebitz war es Mitte der 80er so weit: Die Regierung Kohl verschärfte seit Jahren das politische und soziale Klima, eine stagnierende Wirtschaft und eine blühende Atomindustrie lähmten das Land. Quasi vor ihrer Haustür, sie lebten damals im Pfälzer Wald, wurde der Nato-Doppelbeschluss mit der Aufstellung von Pershing-II-Atomraketen umgesetzt. Auf der US-Militärbasis Fischbach vermutete die Friedensbewegung chemische Kampfstoffe. In Wahrheit lagerten sie in Clausen, zwanzig Kilometer entfernt. Doch das änderte nichts am Unbehagen der beiden Pfälzer.

Agnes und Wolfgang Schliebitz fühlten sich zunehmend unwohl in Deutschland. Pläne zur Auswanderung gingen ihnen schon seit vielen Jahren durch den Kopf, doch brauchten sie eine gewisse Reifezeit. Familie, Freunde und Bekannte hinter sich zu lassen, ist eben nicht ganz einfach.

Für die alternativ Angehauchten war klar, dass das Ziel die grüne irische Insel, die sie durch viele Urlaube kannten, sein sollte. In ihren alten Berufen, Agnes hat Grafikdesign studiert, Wolfgang ist gelernter Kfz-Mechaniker, wollten sie nicht arbeiten. Da Wolfgang einen Freund hatte, der ihn ein wenig in die Geheimnisse der Käseherstellung eingeweiht hatte, sahen sie dort eine berufliche Perspektive.

Doch so richtige Ahnung hatte er nicht. „Unser Beginn war ein mühsames Trial-and-Error-Verfahren. Wir experimentierten so lange, bis wir einen schmackhaften und haltbaren Käse hatten“, schmunzelt Agnes. Doch nicht nur die Käseherstellung war anfangs ein Problem. „Der Geschmack der Iren war bis Anfang der 90er-Jahre auf Cheddar-Käse geeicht“, so Wolfgang. Ein nicht unerhebliches Problem für eine kleine Käserei, die die Iren auf den Geschmack von Schafs- und Ziegenkäse bringen wollte. Ganze drei Schafe, die Ehepaar Schliebitz für teures Geld importieren musste, weil es irlandweit keine Milchschafe zu kaufen gab, bildeten 1989 den Grundstock. Heute grasen 45 Schafe auf den Wiesen rund um ihren Hof. Auch der Kreis der Kunden hat sich erweitert: Bis nach London exportiert die kleine Käsemanufaktur heute ihre Produkte.

Als klassische Aussteiger verstehen sich die beiden nicht: „Das sind Leute, die im Grunde weglaufen und aufgeben. Wir sind ausgewandert, um am Wunschort eine solide wirtschaftliche Existenz aufzubauen.“ Und diese ernährt mittlerweile eine fünfköpfige Familie. Eine Tochter studiert in Cork.

Mit romantischen Vortellungen vom angenehmen Dasein auf dem Lande hat das Leben der Familie nur wenig zu tun: Der Arbeitstag dauert von 7.30 bis 22 Uhr. Urlaub ist nur über Weihnachten drin. Über ein Vierteljahr können die Schafe nicht gemolken werden, weil sie trächtig sind.

Das haut derbe in die Kasse. Weitere Schafe anzuschaffen, ist unmöglich, weil ihnen die Nachbarn Land weder verpachten noch verkaufen. Die Produktion von Ziegenkäse mussten sie aufgeben, weil die ursprünglichen Milchlieferanten den Käse heute selbst herstellen. Außerdem ist die Produktion sehr arbeitsintensiv. Es bleibt nur noch der Weg, Kuhmilch zu verkäsen. Doch auch da türmen sich die Hindernisse, weil Hartkäse besonders lange gelagert werden muss, um zu reifen, und Weichkäse schwierig an Frau und Mann zu bringen ist. Dennoch sind sie in die Produktion von Feta-Käse eingestiegen.

Agnes und Wolfgang haben den Schritt auf die Grüne Insel nicht bereut, auch wenn die Kluft zu den Einheimischen geblieben ist. „Wir pflegen gutnachbarliche Beziehungen, doch Freundschaft würde ich das nicht nennen“, sagt Agnes. So erfahren sie meistens erst sehr spät von den Nachbarn, dass Land zu verkaufen ist oder welcher Händler gerade Winterfutter im Angebot hat.

Ihre Verbindung zu Deutschland haben sie all die Jahre über nicht abreißen lassen. „Eine Rückkehr im Alter ist nicht ausgeschlossen, aber für uns derzeit kein Thema, denn es gefällt uns hier“, sagt Wolfgang.

Knockalara Farmhouse, so heißt der Betrieb nahe der kleinen Stadt Cappoquin, die 70 Kilometer nordöstlich von Cork liegt, ist kein ökologisch arbeitender Betrieb. Diese gibt es in Irland kaum. Schliebitz’ Hof wirtschaftet mit extensiver Tierhaltung. Auf Kunstdünger kann nicht verzichtet werden, weil das Gras sonst nicht schnell genug wachsen würde. Mit zehn Schafen pro Hektar ist eine Wiese, so eine Faustregel, maximal belastet. Schliebitz’ Grünflächen liegen knapp darunter. „Wir würden gerne ökologisch arbeiten, doch das ist schwierig. Selbst wenn wir unsere Milch so herstellen würden, unsere Zukäufe könnten niemals ökologischen Standards genügen, weil solche Milch kaum jemand anbietet“, resümiert Wolfgang.

Die produktionstechnischen und hygienischen Anforderungen sind in Irland wesentlich höher als hierzulande. Sie spüren es an umfangreicher dokumentarischer Arbeit: Jeder Käse ist vakuumverpackt und nummeriert, so dass sich der gesamte Herstellungsprozess bis zur verwendeten Milchcharge zurückverfolgen lässt. Viel Arbeit für einsame Stunden in grüner Umgebung.