Japans Appetit auf Walfleisch sinkt

In Japan kämpft auf der Weltkonferenz eine starke Lobby aus dem Fischereiministerium für die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs. Dabei sitzt das Land auf 220 Tonnen überschüssigem Walfleisch. Delegierte werden damit bewirtet

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

„Walfleisch essen ist eine uralte Tradition unseres Landes!“ Mit dieser Botschaft versucht Japan schon seit Jahren die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs zu erkämpfen. Bislang vergeblich. Dieses Jahr nun lädt Nippon die Teilnehmer der Internationalen Walfangkommission (IWC) ein und hat eine unglaubliche PR-Aktion gestartet. Nicht zufällig wurde die westjapanische Fischerstadt Shimonoseki, das Zentrum des japanischen Walfangs, als Tagungsort bestimmt. Wal-Sashimi, Walspeck geröstet, Walschinken gepökelt und mindestens 50 weitere „Wal-Delikatessen“ haben die Wirte von Shimonoseki vorbereitet, um die Tagungsteilnehmer in den nächsten vier Wochen auf den Geschmack dieser umstrittenen „Köstlichkeit“ zu bringen.

Die vordergründige Werbeaktion für das Land des Walfangs könnte gerade vor der Fussballweltmeisterschaft zu einem peinlichen Eigentor werden. Rechtzeitig zum Beginn der Tagung publizierte nämlich die liberale Tageszeitung Asahi Shimbun aufschlussreiche Zahlen, die die japanischen Walfänger der internationalen Gemeinschaft normalerweise nicht präsentieren. Danach benötigt Japan gar kein zusätzliches Walfleisch, sondern verliert buchstäblich den Appetit für diese traditionelle „Delikatesse“. Die Walfänger Nippons, die bislang unter dem Deckmantel des „Fangs für Forschungszwecke“ jährlich hunderte von Walen erlegten, blieben nämlich im vergangenen Jahr auf ihren Beständen sitzen. 725 Tonnen Walfleisch waren für den Verzehr freigegeben worden. Die Walfleischhändler konnten nicht mal 500 Tonnen absetzen.

Die Überschüsse zwangen die Händler, ihre Preise um rund 20 Prozent zu senken, und trotzdem stieg die Nachfrage nicht. Schon in diesem Jahr könnten die Überschüsse nach verlässlichen Schätzungen auf 500 Tonnen steigen, was einem durchschnittlichen Jahresfang entspräche.

Peinlich sind diese Zahlen vor allem für das Fischereiministerium, das auf die internationale Kritik am japanischen Walfang schon seit Jahren mit der uralten Tradition des Walfleischessens in Japan argumentiert und dieses Jahr die Wiederaufnahme des kommerziellen Walfangs durchsetzen möchte. Dabei wurde Walfleisch erst nach dem 2. Weltkrieg ein Gericht mit nationaler Verbreitung, weil in den Aufbaujahren nach dem Krieg schlicht kein anderes Fleisch zur Verfügung stand. 1960 war es mit einem Anteil von 27 Prozent am gesamten Fleisch- und Fischmarkt das meist gegessene Fleisch in Japan. Heute macht Walfleisch noch 0,3 Prozent des gesamten Fleisch- und Fischkonsums aus. Vor allem die Jugend lehnt das Walfleisch ab: Mehr als 53 Prozent der 20- bis 24-Jährigen wollen das Fleisch nicht einmal ausprobieren. Fast 90 Prozent haben es nur einmal gegessen. Sie ziehen einen Cheesburger mit Pommes gepökeltem Walschinken vor.

Trotzdem kämpft Japan verbissen gegen das Walfangmoratorium und schickt seine „Forschungsflotte“ jedes Jahr auf die Jagd nach den Meersäugern. Möglich ist dies nur, weil die Walfänger eine mächtige politische Lobby im Fischereiministerium besitzen, die den Walfang zu einem nationalen Symbol gegen eine zunehmende Verwestlichung der Esssitten emporstilisieren konnte. Mächtige konservative Abgeordnete der regierenden Liberaldemokratischen Partei unterstützen diesen Kampf, obwohl der Walfang nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch wirtschaftlich unsinnig geworden ist. Motoyasu Kawai, ein kritischer Fischereiexperte: „Walfang ist nur rentabel, weil er mit nationalen Forschungsgeldern subventioniert wird. Wenn die Regierung es ernst meint mit Reformen und einer transparenten Ausgabepolitik in Tokio, dann saust das Sparbeil demnächst auf diese unrentable Industrie nieder.“