Es gibt kein Recht auf Sterbehilfe

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte lässt englisches Verbot der Beihilfe zum Selbstmord bestehen. Die Klage einer todkranken Britin hatte in Straßburg keinen Erfolg. Sie wollte sich von ihrem Ehemann beim Selbstmord helfen lassen

von CHRISTIAN RATH

Es gibt kein europäisches Recht auf Sterbehilfe. Dies stellte gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg klar. Er lehnte damit die Klage der todkranken Britin Diane Pretty ab, die sich von ihrem Mann beim Selbstmord helfen lassen wollte.

Diane Pretty hat eine unheilbare Muskel- und Nervenkrankheit und wird vermutlich schon in wenigen Monaten sterben. Ihre Ärzte erwarten, dass sie ersticken muss, sobald auch die Muskulatur der Atemwege von der Lähmung befallen wird. Auf diesen „würdelosen Tod“ wollte die 43-jährige Engländerin aber nicht warten.

Da Pretty jedoch vom Hals abwärts gelähmt ist, kann sie ihrem Leben nicht selbst ein Ende setzen und ist auf fremde Hilfe angewiesen. Ihr Mann Brian, mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet ist, wäre dazu bereit, allerdings droht ihm in Großbritannien eine Haftstrafe von bis zu 14 Jahren.

Diese Rechtslage verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, erklärte nun der Straßburger Gerichtshof. Die Konvention enthalte zwar das Recht auf Leben, daraus könne jedoch kein Recht abgeleitet werden, das eigene Leben jederzeit zu beenden. Schließlich sei Sterben, so die Richter, das genaue Gegenteil von Leben. Prettys Anwälte hatten argumentiert, dass zum Beispiel die Meinungsfreiheit auch das Recht beinhalte, keine Meinung zu haben oder bestimmte Meinungen nicht zu äußern. Dies lässt sich nach Ansicht des Gerichtshofes jedoch nicht auf das Recht auf Leben übertragen, da es zugleich eine Pflicht des Staates enthalte, das Leben generell zu schützen.

Dagegen wollte der Gerichtshof „nicht ausschließen“, dass das Verbot der Sterbehilfe einen Eingriff in das von der Konvention geschützte Recht auf Privatleben darstellt. Allerdings erlaubt die Konvention solche Eingriffe, wenn sie – wie in England – in einem parlamentarischen Gesetz erfolgen. Das Strafgesetz selbst sei außerdem nicht unverhältnismäßig, weil es auch mildere Strafen als die Höchststrafe von 14 Jahren erlaube. Und selbst wenn die britische Justiz Brian Pretty vorab keine Straffreiheit zusichere, werde doch im Einzelfall geprüft, ob eine Strafverfolgung im öffentlichen Interesse liege.

Auch die übrigen Argumente von Diane Pretty ließ der Gerichtshof nicht gelten. So sah der Gerichtshof etwa keine unzulässige Diskriminierung von Menschen, die den Selbstmord nicht eigenhändig ausführen können. Vielmehr sei es nachvollziehbar, dass Selbstmord und Sterbehilfe unterschiedlich bewertet werden, weil eine allgemeine Straflosigkeit das Risiko von Missbrauch erhöhen würde.

Die Entscheidung wurde von einer achtköpfigen Kammer unter dem finnischen Richter Matti Pellonpää getroffen und erging einstimmig. Diane Pretty könnte zwar noch die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofes anrufen, dürfte dort aber wohl auch nicht mehr Erfolg haben.

In Deutschland ist zwar die Beihilfe zum Selbstmord erlaubt, aber die Tötung auf Verlangen strafbar. Unter strengen Voraussetzungen ist Sterbehilfe derzeit nur in den Niederlanden legal. Auswirkungen auf die dortige Rechtslage hat das gestrige Urteil nicht.