Autos bauen, Kindern helfen

Weltbetriebsrat von VW ruft zu konkreter Solidarität auf. Belegschaften spenden einen Teil ihres Lohnes an Heime und Ausbildung für Straßenkinder. In Mexiko kamen so 150.000 Euro zusammen

aus Mexiko ANNE HUFFSCHMID

Volkswagen ist seine Traumfabrik. „Was mit Maschinen machen“ will Benito Avendaño, ein schüchterner Junge mit rot gefärbtem Haar und schiefem Lächeln, und das am liebsten als Lehrling bei den deutschstämmigen Autobauern. Volkswagen de México, eineinhalb Stunden südöstlich von Mexiko-Stadt kurz vor der Stadt Puebla gelegen, ist seit über 30 Jahren größter Arbeitgeber und Stütze der Region. Benito wäre der erste Heimjunge, den VW in die Betriebsausbildung aufnimmt.

11 von seinen 18 Jahren hat der Junge im goldgelbem Schlabbershirt in der idyllisch gelegenen Villa Nolasco verbracht. Von den Eltern fehlt jede Spur, auf der Straße wurde das verwahrloste Kind einst aufgelesen und via Jugendamt an das Rehabilitierungszentrum Ipoderac, eine halbe Autostunde südlich von Puebla, verfrachtet. Seither lebt Benito hier, zusammen mit 60 ehemaligen Trebegängern. Betreuerin Patricia Hidalgo erzählt, was es mit dem „Leben in Gemeinschaft“ auf sich hat. Vor allem gehe es, gegen das Stigma des Heimkinds, um so etwas wie Lebenstüchtigkeit. „Sie sollen lernen, dass man sich das Leben selbst verdienen muss.“

Tatsächlich aber steht die Arbeit im Mittelpunkt: 15 Stunden die Woche arbeiten die Jugendlichen in einer der fünf Werkstätten, die als richtige Mikrobetriebe – inklusive Bewerbungen, Arbeitsverträgen und Stundenlöhnen – organisiert sind. In Tischlerei und Gemüsegarten, Seifenmanufaktur, Käserei und dem Ziegenstall werden drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Kinder bekommen handwerkliche Ausbildung und Lektionen in Arbeitsethik – und der Betrieb Einnahmen. Der Rest der Finanzierung kommt von außen. Etwa von VW in Deutschland und dem näher gelegenen Puebla.

Dass ein prosperierender Weltkonzern hier und da sozialen Projekten unter die Arme greift, wäre an sich nichts Neues. Neu ist diesmal, dass die Gelder nicht vom Karitas-Konto des Konzerns, sondern von den Gehaltskonten der Belegschaft abgehen. Am Anfang, so wird hausintern berichtet, sei vor ein paar Jahren eine Stern-Reportage über Not leidende Kinder gewesen. Wie viele weltweit auf und von der Straße leben, weiß – naturgemäß – keiner so genau, in Mexiko reichen die Schätzungen von zehn- bis über hunderttausend. Im Jahr seiner offiziellen Gründung, 1999, habe der Weltbetriebsrat, der für die 42 Werke in aller Welt zuständig ist, „etwas tun“ wollen. Ende des Jahres kam es zum ersten Aufruf an alle deutschen VW-Beschäftigten, unter dem Motto „eine Stunde für die Zukunft“ einen Stundenlohn abbuchen zu lassen, für Arbeiter im Schnitt 17 Euro brutto.

Seither sind mit dieser und kleineren Spendenkampagnen etwa 3 Millionen Euro zusammengekommen. Damit wurden bislang, vermittelt durch Terre des hommes (Tdh), mehr als ein Dutzend Projekte für obdachlose Kinder und Jugendliche an den wichtigsten Konzernstandorten unterstützt – neben Mexiko, Brasilien, Südafrika auch ein paar in Deutschland. Auch für die Experten von Tdh war die Zusammenarbeit mit „einem Arbeiterpublikum“ eine neue Erfahrung. „Unsere Kunden stammen ja sonst eher aus der bürgerlichen Mittelschicht“, sagt Tdh-Mitarbeiterin Ute Sodermann. Zunächst galt es, den verbreiteten Impuls abzubremsen, Container „mit Kleidern und sonstigen Gerätschaften“ voll zu packen und übers Meer zu schicken – eine Eintagshilfe, die Tdh ablehnt.

Statt heißen Tröpfelns soll es um strukturelle Tiefenwirkung gehen. Um das zu erreichen, sind solche Projekte auf Social Sponsoring angewiesen. Und das betreibt heute nicht mehr nur die Wolfsburger Zentrale. Ein Jahr nach dem Start der deutschen Kampagne zogen die Kollegen von der unabhängigen VW-Gewerkschaft in Mexiko (SitiaVW) nach. Und setzten gleich noch einen drauf: Nicht nur eine Stunde, einen ganzen „Tag für die Zukunft“ sollten die Beschäftigten aus der Lohntüte abzwacken. Dabei beträgt der durchschnittliche Tageslohn für Arbeiter beträgt in Mexiko gerade 250 Pesos, etwas über 30 Euro – knapp das Doppelte dessen, was ein deutscher Kollege für die Stunde bekommt. In zwei Jahren sind immerhin 150.000 Euro zusammengekommen. „Das war eine echte Herausforderung für uns, dass da deutsche Arbeiter mexikanische Kinder unterstützen“, berichtet José Luis Rodriguez, Generalsekretär der SitiaVW. „Da mussten wir natürlich zeigen, dass Arbeiter in Mexiko das auch können.“