Europäischer Inszenierungswahn

Aufgehübscht und immer brav der Definitionsmacht des Fotografen unterworfen: Museum für Völkerkunde zeigt historische „Indianerfotos“ aus den Jahren 1858 bis 1928 aus eigenen, frisch erforschten Archivbeständen

Columbus war unbeirrbar überzeugt, Indien gefunden zu haben. Und so heißen die Ureinwohner Amerikas bis heute „Indianer“. Aber das sind nicht die einzigen Seltsamkeiten im Umgang mit den ,,Native Americans“. Gleich, ob sie am arktischen Eis oder im Dschungel des Amazonas leben, mal galten sie als wüste Barbaren, mal als edle Wilde, sie wurden als gerissene und rachedurstige Krieger gefürchtet, als aussterbende Rasse bemitleidet, schließlich als spirituelle und ökologische Vorbilder gepriesen. Zwischen Verachtung und Verklärung ist dabei jedes der Indianerbilder nur eine Projektion, der neben Missionaren und Siedlern selbst Ethnologen und Fotografen unterliegen.

Mit der aktuellen, groß angelegten Ausstellung Indianer - Photographische Reisen von Alaska bis Feuerland erweitert das Museum für Völkerkunde den „reality check“ der „2. Triennale der Photographie“ in entfernte Räume und historische Zeiten. Und das ist vom Skalpierten bei Fort Dodge, 1868 bis zum Bild des Revolutionärs Emiliano Zapata, von der akribischen Erfassung der Zeichensprache der Lakota über Gruppenbilder nicht ganz freiwilliger Kautschuksammler mit ihrem europäischen Patron zu frühen Landschaftsansichten gleichermaßen kulturgeschichtlich und ästhetisch reizvoll.

Etwa 200.000 Fotoabzüge und Negative besitzt das Museum, davon 12 000 Bildträger allein im Amerika-Archiv. Diese Schätze wurden früher nicht als eigenständige Objekte verstanden und als drittrangiges Hintergrundmaterial fast vergessen. Jetzt wurden sie drei Jahre lang gesichtet und erfasst. Dabei kamen teils einzigartige Entdeckungen zum Vorschein, wovon die Schau nun etwa 500 zeigt.

Erste fotografische Bilder von Indianern entstanden 1845, sechs Jahre nach Erfindung des Mediums; das früheste aus dem Hamburger Archiv lässt sich auf 1849 datieren. Aber auch einige Bilder von 1888 sind die allerersten und nur in Hamburg erhaltenen. Bei aller Wissenschaftlichkeit vermittelt die Ausstellung, dass die damaligen „Dokumente“ eher subjektive Interpretationen sind. Das zeigt sich auch in den Schriften und Selbstinszenierungen der weißen Reisenden. Bilder damals noch unerforschter Mayatempel und vom Bau des Panamakanals, Studien von Vulkanen sowie Aufnahmen der frühen Hochhäuser von New York bieten zudem über das eigentliche Thema hinaus das Panorama einer ganzen Epoche.

Spätestens bei der großen Gruppe traditionell inszenierter Studiobilder von Mitgliedern indianischer Delegationen in Washington wird klar, wie sehr die Person vor der Kamera der Definitionsmacht des Fotografierenden ausgesetzt ist. Schon 1915 beschlossen die Hopi daher als erste überhaupt ein generelles Fotografierverbot – eine Einschränkung, die heute weitgehend für alle religiösen Indianerzeremonien gilt.

Auch Beziehungen zu Hamburg sind in der Ausstellung zu entdecken. Fotos von 1909 zeigen Oglala Sioux in ihrem Reservat Pine Ridge, neun Monate später wurden von dort 40 Personen nach Hamburg gebracht – nicht ohne ihre prachtvolle Kleidung mit zusätzlichen Accessoires noch aufzuhübschen, die der Sammler und Völkerschau-Organisator Johan Adrian Jacobsen extra gekauft hatte. Eine Million Besucher sahen die Schau – und Indianerfotos aus Hagenbecks Tierpark dokumentierten dann diese ,,authentische“ Inszenierung. Angesichts heutiger touristischer Pseudofolklore bleibt die Kritik daran im Halse stecken: Immerhin tanzten ,,typische“ Indianer auch auf der EXPO anno 2000 in Hannover. Hajo Schiff

Indianer 1858-1928. Photographische Reisen von Alaska bis Feuerland, Museum für Völkerkunde, bis 15. Juni 2003. Katalog: 352 Seiten, 228 Bilder, 25 Euro