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Inwendige Sicherheit

Musik macht sicher und die Gesellschaft besser. Wolfhagen Sobirey, Präsident von Landesmusikrat und Jugendmusikschule erklärt, warum

Interview SANDRA WILSDORF

taz: Sie haben vor kurzem öffentlich kritisiert, dass am Hauptbahnhof Junkies und Obdachlose mit klassischer Musik vertrieben werden. Was haben Musik und Innere Sicherheit miteinander zu tun?

Wolfhagen Sobirey: Otto Schily hat vor Jahren einmal gesagt, wer Musikschulen schließt, der gefährde die innere Sicherheit. Damit hat er Recht. Wenn Menschen so früh wie möglich positive Erfahrungen machen, sich mit positiven Inhalten beschäftigen, dann stärkt sie das. Wenn sie etwas haben, woran sie sich orientieren können, dann gibt ihnen das Halt. Genau das leistet Musik. Sie ist aber auch kommunikationsfördernd, man kann sich mit ihr äußern, sie hat auch eine emotionale Entlastungsfunktion. Das stabilisiert den Menschen, der fällt dann nicht auf Drogen rein und sucht sich keine anderen Ventile.

Warum wirkt klassische Musik auf manche Menschen aber so abschreckend, dass sie sich dadurch vertreiben lassen?

Weil sie sie nicht gewohnt sind. Wenn man beispielsweise einer Rede in einer völlig fremden Sprache zuhört, strengt das jeden an. Das genau ist ja hier beabsichtigt. Dazu kommt noch, dass es Musik der Gesellschaft ist, von der sich diese Menschen abgelehnt fühlen.

Was würden Sie dem derzeitigen Senat stattdessen raten?

Als Präsident des Landesmusikrats sage ich: Mit der derzeitigen Politik werden nur die Knäste voll, und das ist am Ende teurer, als mehr Musikmachen und Musikunterricht in den Kindergärten und Schulen zu finanzieren. Das gilt auch für die Drogenpolitik: Das Problem ist nicht gelöst, nur weil die Szene am Hauptbahnhof nicht mehr zu sehen ist.

Was schlagen Sie vor?

Ausgangspunkt muss immer der Mensch sein. Der Schwerpunkt sollte Erziehung und Bildung sein. Leider können wir keine Rechnungen vorlegen, dass bei soundsovielen Menschen die Beschäftigung mit Musik beispielsweise eine Drogenkarriere verhindert hat und dann die Kosten gegenüberstellen.

Was kann die Schule leisten?

Es ist leider nur die Rede von mehr Unterrichtsstunden in Deutsch, Mathematik. Auch PISA sagt nichts über die ästhetischen Fächer, die kommen einfach nicht vor. Genauigkeit gibt es nicht nur durch mehr Zahlen, Daten, Fakten, es gibt auch eine emotionale Genauigkeit. Wir sagen immer, Kommunikationsfähigkeit und Empathie seien gut. Genau dafür sind die Künste wichtig. Sie dienen dazu, die Probleme anderer auf der emotionalen Ebene wahrzunehmen. Gewalt entsteht doch auch durch nicht-wahrnehmen. Aber man muss die Menschen früh erreichen, spätestens im Kindergarten. Wenn Jugendliche erst auffällig geworden sind, werden wir sie weder mit HipHop noch mit der Flöte retten.

Ist der derzeitige Musikunterricht ausreichend?

Nein, in Hamburg haben ab Klasse neun 80 Prozent der Schüler schon keinen Musikunterricht mehr. Der Musikunterricht in den Grundschulen wird überwiegend von Nichtfachkräften erteilt oder fällt aus. Ich fürchte, dass auch die angekündigte dritte Sportstunde zu Lasten der ästhetischen Fächer geht, da wird immer als Erstes gekürzt.

Aber liegt das nicht auch daran, dass immer weniger Schüler sich für Musik entscheiden?

Ja, die Konkurrenz der ästhetischen Fächer wird immer größer, da gibt es jetzt auch so tolle Fächer wie Modedesign und Darstellendes Spiel. Es liegt aber auch am Musikunterricht selbst. Der war lange zu theorielastig, zu vergangenheitsbezogen und zu akademisch, wir haben zu lange nur Musik anderer nachgespielt. Wir brauchen andere Lehrer, Menschen, die auch in der Popularmusik zu Hause sind, die mehrere Instrumente spielen, aber auch Spaß daran haben, andere zu fördern. Glücklicherweise tut sich da etwas. Schule muss insgesamt anders werden, interaktiver und praxisnäher.

Was, wenn es keinen Musikunterricht mehr gäbe?

Dann wird das Zusammenleben emotional ärmer, und das wiederum ist ein Problem der Inneren Sicherheit. Musik bietet soziales Lernen, es zeigt Grenzen auf, man muss sich an Regeln halten und in eine Gruppe einfügen. Mal spielt man allein, mal nur zusammen, man muss warten können. Eine Schule, in der ästhetische Fächer einen Schwerpunkt bilden, die würde etwas bringen. Kultur ist der Kitt der Gesellschaft. Der Senat ist schlecht beraten, wenn er sie nicht zum Schwerpunkt seiner Politik macht.

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