Wellenreiten ohne Dr. Brinkmann

Unstur, mit viel Sinn für Tanzbares und einem entspanntem, modernen Swing-Verständnis: Die „Leopold Kraus Wellenkapelle“ aus Freiburg tritt heute Abend mit Black Forest Surf im Molotow auf

Es gibt Situationen am Veranstaltungsmarkt, die tatsächlich niemandem nützen, gar niemandem. Zum Beispiel, wenn an einem Abend in einer Stadt zwei Bands, die beide dasselbe Publikum wollen und wahrscheinlich verdient haben, in zwei verschiedenen Clubs auftreten. Eine solche Situation bringt höchstens diesen Artikel dazu, die Maske der Kultur-Berichterstattung kurzzeitig fallen und sich direkt in die Promotion-Karten blicken zu lassen.

Also: Hier sollen Gründe geliefert werden, warum geneigte FreundInnen des instrumentalen 60er Jahre-Retro-Sounds am Donnerstag ins Molotow zur Leopold Kraus Wellenkapelle gehen sollten, anstatt sich im Pudels die Tiki Tiki Bamboos anzuhören. Für Vereinsmeier ist diese Entscheidung einfach, handelt es sich bei der Wellenkapelle doch um die offizielle Band des Deutschen Wellenreiter-Verbandes (DWV) e. V. Aber es lassen sich noch bessere Gründe finden: Da ist zum Beispiel die von der Band lancierte Legende, der Namensgeber Leopold Kraus sei in den frühen 60er Jahren der einzige professionelle Wellenreiter der DDR gewesen. Wegen zu viel Ambiguität bei der Einschätzung westlicher Beat-Musik hätte dieser dann bald nach Freiburg umsiedeln müssen, um sich fortan als Betreiber der örtlichen Surf- und Rockschule der Pflege der Schwarzwälder Surfkultur zu widmen. Sich in dieser hübschen Tradition sehend, spielt die Leopold Kraus Wellenkapelle also Black Forest Surf Rock. „Schwarzwaldklinik goes Pulp Fiction“ wurde das genannt, und nur halb zu Unrecht. Denn die Amtlichkeit etwa eines Dick Dale-Stückes wird hier mitunter durch mehrstimmige Vokalpassagen versüßt, und noch vor der Gitarre schmeichelt sich die Farfisa-Orgel an die Körper der Konzertgäste. Unstur wird hier gesurft, mit einem entspannten Swing-Verständnis. Dabei muss auch niemand Angst vor Dr. Brinkmann oder Quentin Tarantino haben, denn die Wellenkapelle weiß, wenn es darauf ankommt, wo sie steht: Ihre letzte Single Trotzki Beat wurde schließlich nach jemandem benannt, der ein ähnliches Schicksal erleiden musste wie Leopold Kraus. Eispickel gehen besser woanders hin.

Georg Felix Harsch

heute, 21 Uhr, Molotow