Positive Signale gegen Aids

In Südafrika berät das Verfassungsgericht ab heute, ob die Regierung des Landes mit den meisten HIV-Infizierten der Welt schwangere Mütter mit Aids behandeln muss. Vorab hat der bislang renitente Präsident Mbeki begonnen einzulenken

aus JohannesburgMARTINA SCHWIKOWSKI

Thabo strahlt und strampelt wild in seinem Kindersitz. Er wartet auf seine neue Familie, die ihn aus dem Cotlands-Heim abholen wird. Dann hat der neun Monate alte Junge endlich ein Zuhause. Und eine Zukunft. Er ist nicht mehr HIV-positiv wie noch bei der Geburt, sein Immunsystem arbeitet jetzt normal. Er hatte Glück. Aber den meisten der 62 Babys und Kleinkindern, die einst von verzweifelten Müttern ausgesetzt wurden und jetzt in dem Heim nahe Johannesburg liebevolle Pflege erhalten, droht der Tod. Der vorletzte Freitag war der bisher schlimmste Tag. Fünf aidskranke Kinder starben.

Über die Aidspolitik von Südafrikas Regierung will in Cotlands niemand reden. „Wir wollen den Kranken ihre Würde so lange wie möglich erhalten“, sagt Schwester Stella Dubazana. „Politik ist eine andere Sache.“ Seit sechs Jahren hat Cotlands Betten für aidskranke Kinder. „Die werden nie frei.“ Täglich kommen mehr Sozialarbeiter mit neuen Findlingen.

Aber es keimt Hoffnung auf. Südafrikas Gesundheitsministerium plant, das Medikament Nevirapin ab nächsten Januar landesweit an infizierte Schwangere zu verabreichen. Es reduziert die Übertragung des tödlichen HI-Virus auf Ungeborene um die Hälfte. Für Opfer von Vergewaltigungen wird außerdem ab sofort ein Hilfspaket angeboten: Aids- und Schwangerschaftstests, Beratungen und Behandlung mit Aids-Medikamenten.

Das sind neue Töne, die auf eine Kehrtwendung in der heftig kritisierten Aidspolitik Südafrikas hindeuten. Erstmals erkennt die Regierung damit an, dass solche Medikamente bei korrekter Anwendung Kranken helfen können – früher betonte sie ausschließlich die gefährlichen Nebenwirkungen dieser Drogen. Nachdem sich die Regierung mit Aidsaktivisten und Lobbygruppen mehr als ein Jahr vor Gericht über die Verabreichung des Aidsmedikaments Nevirapin an Schwangere ein Tauziehen geliefert hat, lenkte sie somit ein – kurz vor dem entscheidenden Spruch des Verfassungsgerichts, das seine abschließenden Beratungen zum Fall heute beginnt und sein Urteil nach wenigen Tagen fällen könnte.

Anfang April hatte Südafrikas Oberstes Gericht in Pretoria bereits entschieden, dass die Regierung bis zum Urteil des Verfassungsgerichts Nevirapin in solchen öffentlichen Krankenhäusern ausgeben muss, die entsprechende Behandlungskapazitäten besitzen. Das macht die Regierung nun auch. Dennoch will sie mit ihrer Berufung vor dem Verfassungsgericht den in dieser Frage erstmals im Dezember 2001 vom Obersten Gericht getroffenen Entscheid rückgängig machen, der einen landesweiten Nevirapin-Behandlungsplan für werdende Mütter fordert. „Uns geht es in der Berufung darum, die Frage der Gewaltenteilung zu klären: Kann ein Richter Medikamente verschreiben? Das wäre ein Gerichtsurteil mit weitreichenden Folgen“, sagt Regierungssprecher Joel Netshitenze.

Das Ministerium verkauft die neue Linie so: „Wir haben schon immer versucht, die mangelnde Infrastruktur im staatlichen Gesundheitswesen zu verbessern. Aber wir müssen es richtig machen“, sagt Nono Simelela, Direktorin des Aidsprogramms im Gesundheitsministerium. Armut und Unwissenheit von Patienten, Unterbesetzung von Kliniken und fehlende Ausbildung des Personals, ganz abgesehen von Kosten und angeblich zu geringem Wissen über Nebenwirkungen, dienten der Regierung in der Vergangenheit als Argument, das Mittel nicht zu verabreichen, sondern zunächst komplette Studien anzufordern. Lediglich in achtzehn Pilotprojekten werden Schwangere bisher mit Nevirapin behandelt.

Nur die zwei der neun Provinzen Südafrikas, die nicht der ANC (Afrikanischer Nationalkongress) regiert, haben rebelliert und verabreichen Nevirapin. Als die reichste Provinz Gauteng, in der Johannesburg liegt, nachziehen wollte, wurde Premier Mhbazima Shilowa von Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang zurückgepfiffen.

Letztlich geht es bei der konfusen Aidspolitik Südafrikas um die Anschauungen des Präsidenten Thabo Mbeki. Seine oft geäußerten Zweifel, ob HIV wirklich zu Aids führt, hat die Bevölkerung verwirrt und den regierenden ANC gespalten. Noch vor kurzem verteilte der ANC-Abgeordnete Peter Mokaba Briefe in und außerhalb der Partei, in der er von einer Absicht der Pharmaindustrie warnte, Afrikas schwarze Bevölkerung durch die Behandlung mit Aidsmedikamenten „als Versuchskaninchen zu benutzen“. Die Aufweichung der Nein-Politik der Regierung ist nun ein Triumph von Bürgerrechtsgruppen und Lobbyisten. Auch Nelson Mandela hat in öffentlichen Aufrufen seit Wochen seine moralische Autorität eingesetzt und den Einsatz von Aidsmedikamenten verlangt.

Präsident Mbekis Image hat durch die sture Haltung angesichts der Katastrophe vor seiner Haustür gelitten. Nun hat er erkannt, dass er dadurch Südafrikas Interessen unterwandert, besonders im Hinblick auf die von ihm mitgegründete Initiative „Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas (Nepad)“, mit der die internationale Gemeinschaft zu massiven Investitionen in Afrika bewogen werden soll. Denn wenn er untätig bleibt gegen Aids, das Südafrikas Wirtschaft massiv schwächt, verlieren seine Rufe nach ausländischem Kapital für Afrika an Glaubwürdigkeit. Die Prognosen für das wirtschaftlich stabilste Land auf dem Kontinent sind verheerend. In Südafrika wird geschätzt, das 30 Prozent der Arbeitskräfte bis 2005 HIV-infiziert sein werden. Fünf von 43 Millionen Menschen in Südafrika leben heute mit dem Virus, täglich werden es 2000 mehr, und pro Jahr werden 70.000 HIV-infizierte Kinder geboren.

Trotz aller Freude über die Richtungsänderung bleibt Skepsis. Heime wie Cotlands sind auf Spenden angewiesen. Von den umgerechnet 400 Euro, die die Pflege eines aidskranken Kindes in Cotlands pro Monat kostet, zahlt die Regierung nur 90. Das Gesundheitsministerium lehnte die Bitte von Cotlands ab, vor dem Verfassungsgericht zu berichten und damit den Heimkindern „eine Stimme zu geben“. Das Gericht wird nun auch darüber noch entscheiden.