Stell dir vor, alle gehen hin

Pfiffe, Wasser, Sitzblockaden – die Gegner der rechten Aufmärsche bildeten im ganzen Bundesgebiet eine breite und bunte Allianz

aus Berlin, Frankfurt und DresdenH. KLEFFNER, K.-P. KLINGELSCHMITT und M. BARTSCH

Claudia Roth, Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, ist begeistert: „Die große Zahl von Demonstranten gegen die NPD zeigt, dass es viele Menschen gibt, die nicht in einem Land leben wollen, in dem Neonazis die Stimmung bestimmen.“

Im Ostberliner Stadtteil Hohenschönhausen hatten gestern Vormittag rund tausend Menschen gegen einen Aufmarsch von 700 Anhängern der NPD demonstriert. Unter dem Glockenläuten der evangelischen Kirchengemeinde, die gemeinsam mit kommunalen Initiativen, Vertretern von SPD, PDS und Grünen sowie der berlinweiten Initiative „Europa ohne Rassismus“ zu Protesten aufgerufen hatte, kam es zu Sitzblockaden auf der Route der Neonazis.

Vertreter unabhängiger Antifagruppen sagten, im Gegensatz zum 1. Mai des vergangenen Jahres, als über 300 Gegendemonstranten von der Polizei mit Vorbeugegewahrsahm und Platzverweisen die Anfahrt zum NPD-Aufmarsch in Hohenschönhausen verwehrt wurde, sei in diesem Jahr „wenigstens begrenzter Protest“ möglich gewesen.

Neben NPD-Kreisverbänden aus Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt kam die Hälfte der zumeist jugendlichen Skinheads aus dem Spektrum der mit der NPD konkurrierenden militanten „Freien Kameradschaften“. Lediglich der in der vergangenen Woche wegen antisemitischer Äußerungen zu 21 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilte ehemalige Vorsitzende der verbotenenen Neonazipartei FAP, Friedhelm Busse, gab sich trotz eines Auftrittsverbots durch die Berliner Innenverwaltung inmitten jugendlicher Sympathisanten siegesgewiss. „Ich werde nicht ins Gefängnis gehen“, so der 73-Jährige.

Blutige Köpfe

In Frankfurt kamen die Teilnehmer der von dem Neonazi Christian Worch angemeldeten Demo kaum voran – und das dank der Polizei, die unter anderem wegen der 24 angemeldeten Gegendemonstrationen linker Gruppen und Gewerkschaften mit rund 5.000 Mann im Einsatz war. Sie ließ all die Teilnehmer nicht passieren, die sich von ihr partout nicht durchsuchen lassen wollten. Versuche einzelner Gruppen gewaltbereiter Rechtsextremisten, die Polizeiketten vor dem Versammlungsort zu sprengen, endeten in Einzelfällen mit blutigen Köpfen für die Neonazis.

Deswegen schafften es auch nur knapp 100 von insgesamt nur 500 aus allen Teilen der Republik angereisten Rechtsextremisten, den ihnen vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zugewiesenen Kundgebungsort an der Mainkur zu erreichen. Dieser kurze Zug wurde von der Polizei zum Stehen gebracht, als aus den Reihen der ausgesperrten Rechtsextremisten Flaschen und Steine auf die Beamten geworfen wurden. Daraufhin brach Veranstalter Worch die gesamte Veranstaltung frustriert ab, nicht ohne zu drohen: „Wir kommen wieder!“ Nach Informationen der taz wohl schon am kommenden Sonnabend. Die Rechtsextremisten versuchten später, die Kundgebung ihrer Genossen in Ludwigshafen zu erreichen, wo sich Rechtsradikale aus der Pfalz, dem Badischen und dem Elsass versammeln wollten.

Die Polizei begründete ihre Blockade in Frankfurt später mit dem Verweis auf „linke Gegendemonstranten“, die ihrerseits die Route der Rechtsextremisten blockiert hätten. Es habe die „Gefahr eines gewaltsamen Aufeinandertreffens“ bestanden, sagte ein Polizeisprecher. Auch linke Gegendemonstranten wurden eingekesselt. Den überwiegend friedlichen Widerstand gegen den Aufmarsch der sich „Bürgerinitiative für deutsche Interessen“ nennenden neuen Sammelbewegung der extremistischen Rechten hatten zwei Pfarrer aus dem Viertel organisiert. Weniger zimperliche Linke hatten schon früh am Morgen versucht, die mit Autos anreisenden Rechtsextremisten zu stoppen. Sie rollten brennende Autoreifen auf die A 661 zwischen Offenbach und dem Taunusring. Andere blockierten die Bahngleise zwischen Frankfurt-City und Hanau.

Bunt statt braun

Auch Dresden wehrte sich gestern gegen die inzwischen alljährliche Demonstration der NPD zum 1. Mai. Rund 10.000 Teilnehmer einer von 130 Parteien, Verbänden und Initiativen organisierten Gegenkundgebung zeigten, dass sie sich die sächsische Landeshauptstadt eher bunt als braun vorstellen. In einem gut zwei Kilometer langen Demonstrationszug fanden sich neben afrikanischen Trommlern und Schulklassen, die außer für Toleranz auch gleich für mehr Bildung warben, auch Proteste gegen den „Massenmörder Scharon“ oder der fromme Aufruf „Jesus kann kaputte Typen ändern“.

Bei den Veranstaltern wie DGB, PDS, SPD bis hin zur städtischen CDU und Kirchenkreisen herrschte Genugtuung über die große Resonanz. Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) würdigte, dass erstmals ein solches Bündnis zustande gekommen sei und entsprechende Wirkung zeige. Vorausgegangen war eine wochenlange Plakatwerbung in der Stadt, an der sich auch die Dresdner Hochschulen beteiligt hatten. Das schöne Wetter und die Eröffnung der Elbdampfersaison mögen ebenfalls zur guten Resonanz beigetragen haben.

Vorbild für den freundlich-bunten Protest, so der Spott aus Antifakreisen, könnte auch das erfolgreiche Leipziger Modell gewesen sein. Das dortige Konzept, Naziaufmärsche weitgehend friedlich und fröhlich zu ignorieren, wurde in Dresden allerdings nicht durchgehalten. Zwar kontrollierte auch hier die Polizei die strengen Auflagen ausgiebig, sodass sich der Zug aus etwa 700 Jungnazis erst mit zweistündiger Verspätung in Gang setzen konnte. Dann allerdings wurde er von mehreren hundert teils gewaltbereiten linken Gruppen attackiert. Der Nazimarsch vollzog sich deshalb weitgehend isoliert, weil die Polizei den Weg weiträumig in Doppelkette absperrte. Sitzblockaden erreichten weitere Verzögerungen und Umleitungen des Zuges. Die Polizei meldete bis Redaktionsschluss aber keine Verhaftungen. Antifa und autonome Kreise hatten ein Verbot der NPD-Demonstration gefordert. Auch rund 20.000 Dredner Bürger hatten sich in einer Unterschriftensammlung gegen den Marsch ausgesprochen.

In Fürth beschritt man neue Wege im Kampf gegen rechts: Dort musste die NPD eine Kundgebung von 350 Neonazis abbrechen. Die Rechtsextremisten kamen nicht gegen das Pfeifkonzert ihrer 3.000 Gegner an und zogen unter dem Schutz eines Großaufgebots der Polizei wieder ab. Zuvor war entlang der Demonstrationsroute aus Häusern Wasser auf die Neonazis geschüttet worden.