Salo oder Die 120 Tage von Sodom

(1978)

Wie zur Beglaubigung stellte Pasolini seinem „Salo oder die 120 Tage von Sodom“ eine Literaturliste voran, auf der auch Roland Barthes „Sade/Fourier/Loyola“ zu finden war. Das war merkwürdig, denn Barthes hatte in seinen Sade-Essays das Schreiben, die Worte, die Literatur als den privilegierten Ort des Phantasmatischen ausgewiesen. Dass nur dort, und bestimmt nicht in einem Film, die spezifisch maschinelle Logik der Sade’schen Perversionen durchspielbar sei, führte er nochmals in einer Kritik in Le Monde aus, in der er dem Dreieck Sade/Faschismus/Pasolini die Berechtigung aberkannte. Pasolini habe das „Charmante“ an de Sade, die Kluft zwischen Beschreiben und Schreiben, zugeschüttet und aus Eisennägeln, ausgestochenen Augen und in der Großküche zubereiteten Scheißebergen den Realismus primitivistischer Gemälde gemacht: kein Symbolismus, keine Metapher, nur plumpe Analogie.

Dass dieser Film einem „nichts erspart“ und dabei die Gewaltkarte auf eine so sexuelle wie politische Weise spielt, hat mir allerdings immer gefallen. Heute tritt jedoch eher ein Zynismus hervor, der auch dadurch nicht weicher wird, dass er sich mit politischer Enttäuschtheit rechtfertigt. Wenn die aktuelle Zensur- und Gewaltdebatte jetzt wieder alle möglichen Automatiken anwirft, dann hat man es mit einer vergleichbaren Lage zu tun: Auch in der Verkoppelung von Gewalt und Jugendkultur muss nicht nur das transgressive Heiligtum beschworen werden.

MANFRED HERMES