: Nur zum Gucken, nicht zum Schlürfen
■ Was ist überhaupt ein Gefäß? Die Oldenburger Ausstellung über Meister McWilliam lässt diese Frage offen
Keramik hat es zuweilen schwer, als eigenständige Kunstform anerkannt zu werden: Mal werden die gebrannten Tonwerke in der Nähe der figürlichen Skulptur verortet, mal wird der Ursprung der Keramik betont, nämlich ihr Gebrauchswert. Diesen Aspekt greift Martin McWilliam auf. Seine Ausstellung „Virtual Jar and Bowl“ im Oldenburger Landesmuseum im Schloss zeichnet die Entwicklung der Form von Krug und Schale im Werk des gebürtigen Südafrikaners nach.
McWilliams Arbeiten sind nicht schön und ebenmäßig, sondern unsymmetrisch, die Oberflächen schrundig, die Färbung ist fleckig. Sein ästhetisches Prinzip lehnt sich an die im mittelalterlichen Japan herrschenden Maxime an, dass Schönheit Lebendigkeit ausdrücken müsse. Und so packt der Künstler seine Rohstücke in einem Noborigama-Ofen nach japanischem Vorbild direkt ins Holzfeuer.
Dahinter allerdings steht die Grundfrage der Keramik: „Was ist ein Gefäß?“ Wie anders ist sie als Skulptur und Malerei? Denn eben dies versucht Martin McWilliam zu verbinden und wendet Prinzipien der Malerei auf die Keramik an. Immerhin zehn Jahre dauerte dieser Weg.
Am Anfang waren noch meterhohe Stelen, „Tower and Tower“, die Körper sein wollten. Doch diese eng aneinander geschmiegten Schornsteine zeigen schon Verzerrungen an den oberen Rändern, Ansicht und Draufsicht wollen gleichzeitig gelingen. „LD Bowl“ (1997) schließlich ist eine austernartige Schale, deren Wände ungleich hoch sind und deren Innenraum derart verzerrt und schmal wirkt, dass ganz klar ist: Daraus kann niemand schlürfen. McWilliam appelliert an die Assoziation der Funktionalität und bricht sie gleichzeitig.
Was ist unsere Vorstellung von einem Gegenstand, unsere Erfahrung, Erwartung? Von einer Schale, einem Krug? Als Relief realisiert McWilliam einerseits die konkrete Form, doch wird diesesauf der Tonfläche zugleich eingefasst von einer Platte, die den Raum angibt. Perspektive wird hiermit angedeutet, ein Raum im Raum geschaffen.
McWilliam schafft für die keramische Skulptur etwas Einzigartiges, wie vor ihm wohl nur Alberto Giacometti für die figürliche Plastik. Und wie Giacometti lädt Mc William dazu ein, seine verzerrten Objekte von allen Seiten neu wahrzunehmen, alte Seh- und Keramikerfahrungen durchrütteln zu lassen. Aber abgesehen von der verzaubernden Wirkung seiner oft kräftigen, dann wieder zerschrundenen Farbigkeiten und der scheinbaren Unvollkommenheit seiner Schöpfungen lässt McWilliam die entscheidende Frage dennoch offen: Was ist ein Gefäß?
Marijke Gerwin
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