Der Zaun muss weg

Ludwig Baumann, Deutschlands bekanntester Deserteur, fordert freien Zugang zur historischen Hinrichtungsstätte

taz: Sind Sie zufrieden mit dem neuen „Denkzeichen“?

Ludwig Baumann: Es ist ein erster Schritt. Wir wünschen uns, dass hier an diesem Ort des Grauens stellvertretend für alle verfolgten Wehrmachtsdeserteure eine würdige Gedenkstätte entsteht.

Warum hat es so lange gedauert, bis dieses erste Denkmal errichtet werden konnte?

Unsere Verfolgung endete schließlich nicht mit Krieg. Wir wurden weiterhin als Feiglinge und Vaterlandsverräter beschimpft und sind bedroht worden. Lange Zeit wollte man uns nicht rehabilitieren, um dadurch nicht alle „ordentlichen“ Soldaten zu diskreditieren. In einer Zeit, in der sich Deutschland wieder an Kriegseinsätzen beteiligt, haben Deserteure keine große Lobby.

Hätten Sie sich denn einen Ort mit mehr Öffentlichkeit gewünscht – für diese Stätte des Erinnerns?

Die Initiative um Pfarrer Engelbrecht hat viele Jahre für eine würdige Gedenkstätte gekämpft. Dafür sind wir sehr dankbar. Aber ganz in der Nähe befindet sich der Glockenturm des Olympiastadions und der Eingang zur Waldbühne. Ein Denkmal als Gegengewicht zu dieser üblen Nazi-Symbolik hätte sich dort gut gemacht. Es wäre auch für alle sichtbar gewesen. Den Entwurf hat es ja gegeben.

Also sind Sie mit den Warnspiegeln, die in der Murellenschlucht aufgestellt wurden, nicht glücklich?

Ich habe große Achtung vor der Arbeit der Künstlerin, Patricia Pisani. Auch wenn es schon oft kritisiert wurde: Es ist eben nicht der authentische Ort, an dem die Erschießungen stattfanden. Der liegt hinter dem Zaun, an dem der Weg endet. Wir wünschen uns, dass auch direkt am historischen Ort eine Gedenkstätte entsteht. Sonst bleibt es ein Gedenken zweiter Klasse. So wie es jetzt ist – an den Rand gedrängt – kann es nicht bleiben.

Warum ist Ihnen die genaue Stelle so wichtig?

Wenn ich sehe, dass das Areal ausgerechnet von der Polizei besetzt ist, dann bin ich natürlich empört. Die meisten Opfer von uns wurden doch von der Polizei und den Feldjägern aufgegriffen und verhaftet, meist mit tödlichen Folgen. Über 90 Prozent der Desertionen geschahen während des Heimat- oder Genesungsurlaubs – und eben nicht an der Front. Die Leute wollten nicht wieder zurück in das Grauen und Morden an der Front.

Die Polizei sagt, es gebe Sicherheitsbedenken, weil auf dem Gelände auch Munition gelagert wird.

Wenn man wollte, dann würde man da einen Weg finden. Herr Strieder hat mir am Rande der Einweihung zugesagt, er wolle mit Innensenator Körting reden, ob es nicht möglich ist, die Munition auch außerhalb von Berlin zu lagern – gerade weil Berlin und Brandenburg fusionieren sollen. Ich denke, es würde der Polizei gut anstehen, diesen Ort frei zu geben. Das wäre auch eine Art Geschichtsaufarbeitung in eigener Sache.Ludwig Baumann (80) verließ 1942 bei Bordeaux die Wehrmacht. 1989 gründete er die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“ und wurde deren Vorsitzender.

INTERVIEW: JAN ROSENKRANZ