Der Irrtum von Linum

Kinder bringt der Klapperstorch, behaupten Statistiker, die ihre These selbst widerlegen

„Storch, Storch guter / bring mir einen Bruder / Storch, Storch bester / bring mir eine Schwester.“ Es ist lange her, dass Kinder diesen Reim vortrugen. Heute kommen die Rabauken schon aufgeklärt zur Welt und glauben nicht mehr an das Märchen vom Klapperstorch: „Dich hamse wohl beim Bettenmachen gefunden!“

Früher war das anders, da brachte im Erzgebirge der Storch die Kinder aus dem Teich. Die artigen Mädchen auf dem Rücken, die bösen Jungs im Schnabel. In Böhmen ließ der Storch die Kinder gar durch den Schornstein fallen, wo die Hebamme sie auffing. Und haben Störche auf dem Haus eines jungen Paares gebrütet, bekam das so viele Kinder wie die Störche Junge hatten. Alles vorbei?

Nein, die alten Legenden könnten schon bald mit neuem Leben erfüllt werden: In Seminaren an der Ruhr-Universität Bochum und vor allem im Standardwerk „Statistik am PC – Lösungen mit Excel“ (Hanser) stellen der bekannte Statistik-Professor Dr. Werner Voß und sein Co-Autor Dr. Michael Monka zwischen multipler Regression und partieller Korrelation fest, dass es einen Zusammenhang zwischen Storchenpopulation und der Anzahl neugeborener Kinder gibt: Im Verlauf der Jahrzehnte gab es immer weniger Störche, gleichzeitig sank die Geburtenrate in gleichem Maß. Der Korrelationskoeffizient zwischen Störchen und Geburten signalisiert mit r = 0,855 einen bemerkenswert starken statistischen Zusammenhang.

Tatsächlich: Legt man eine auf jahrelangen Erhebungen beruhende Grafik mit der Anzahl der Störche pro Quadratkilometer über eine Grafik mit der Geburtenrate im gleichen Zeitraum, sind beide Kurven fast deckungsgleich. Die Zahlen kann man sich beim Bundesamt für Statistik holen und daraus hübsche Kurven auf Millimeterpapier zeichnen. Oder noch einfacher mit einem Computerprogramm wie Excel. Egal wie: es funktioniert! Es klappt auch mit anderen Ländern, in denen es Storchenpopulation gibt. Stets sind die Kurven identisch. Ist das der Beweis? Werden Kinder nun doch vom Klapperstorch gebracht?

Die Einwohner berühmter Storchendörfer wie Vetschau, Linum und Rühstädt wissen es schon lange und feiern nicht nur jeden Sommer ihr Storchenfest: Seit Jahren bemühen sie sich um das Wohl ihrer weiß gefiederten Gäste; sorgen für natürlichen Lebensraum; legen alte Wagenräder auf die Dächer, auf dass der Storch ein Nest bauen möge. Hier ist kein ornithologischer Forschergeist im Spiel, auch könnte man auf den Anblick vollgekackter Dachziegel verzichten. Tierliebe? Ja klar: Offenbar versucht man, durch die Ansiedlung von Störchen die Geburtenrate im Dorf zu steigern. Das schafft neue Rentenbeitragszahler, die in Zukunft die Alten versorgen. Die jüngeren Einwohner sind ohnehin längst arbeitslos – und das treibt sie in den Westen oder in die Arme der PDS.

In der Euphorie wird jedoch oft eine weitere, statistisch relevante Größe übersehen: Die Geburtenrate sinkt, wenn die Störche wegbleiben. Das ist nachgewiesen. Sie sinkt jedoch nicht, weil sie wegbleiben. Zwischen wenn und weil gibt es auch in der Statistik einen Unterschied, hier nennt man ihn Drittvariable: Mit fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung sinken in vielen Ländern die Geburtenraten. Das ist bekannt. Zugleich bedeutet Industrialisierung aber auch, dass die natürlichen Lebensbedingungen der Störche stark beschnitten werden. Also bleiben sie weitgehend weg. Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass ein statistischer Zusammenhang zwischen Geburtenraten und der Anzahl der Störche auftritt, das ergibt sich quasi ganz automatisch. Wird also bei der Berechnung des Korrelationskoeffizienten die Variable Z (Anteil der Industrieproduktion am Sozialprodukt) auspartialisiert, bleibt nur noch r = 0,261 – vom ursprünglichen Zusammenhang zwischen Störchen und Geburten ist nicht mehr allzu viel übrig. DIETER GRÖNLING