Der Tattoo-Shop bietet „Blood & Honour“

Immer mehr Neonazis zieht es in das norddeutsche Städtchen Ludwigslust. Dort schaffen sie sich eine rechtsextreme Infrastruktur und schüchtern so dessen Bewohner ein. Die Politik scheint machtlos dagegen zu sein

LUDWIGSLUST taz ■ Kaum Ausländer, keine Antifas und billige Grundstücke. Seit zwei Jahren ziehen Neonazikader aus Norddeutschland in die 13.000-Einwohner-Stadt Ludwigslust und die umliegenden Kleinstädte an der Autobahn zwischen Hamburg und Berlin. Selbst der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern räumt ein, der Landkreis nehme eine „Sonderstellung bezüglich neonazistischer Aktivitäten ein.“

Ende Februar kam der Landkreis gleich zweimal in die überregionalen Schlagzeilen: Es gab zielgerichtete antisemitische Schändungen in der Mahn- und Gedenkstätte des KZ-Außenlagers Wöbbelin und auf dem jüdischen Friedhof im nahen Boizenburg. Und als im städtischen Jugendzentrum Zebef die Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik“ gezeigt wurde, machte die örtliche „Kameradschaft Ludwigslust 88“ durch massive Einschüchterungsaktionen auf sich aufmerksam. Mit dem Zahlencode „88“ spielt die Gruppe auf die verbotene Grußformel „Heil Hitler“ an – H ist der achte Buchstabe des Alphabets.

Seit ein paar Wochen hat die rechte Szene in Ludwigslust einen neuen Anlaufpunkt. Unübersehbar leuchtet der weiße Schriftzug „Tattoo Walhalla“ den Vorbeigehenden auf der größten Einkaufsstraße des Ortes entgegen. Wer zur Mittagszeit den frisch renovierten Laden betritt, wird von einem halben Dutzend Skinheads misstrauisch beäugt. Harte Beats einer Rechtsrockrockband dröhnen durch den Raum, an den Wänden hängt neben Fotos unverfänglicher Symbole auch eine Tafel mit Abbildungen von stilisierten Landsern auf weißen Männerkörpern. In Fotoalben mit Motiven für potenzielle Neukunden stößt man schon mal auf den Schriftzug der verbotenen Neonaziorganisation „Blood & Honour“.

Die Stadtverwaltung von Ludwigslust ist ratlos. Man kenne den Tattooshop-Besitzer „als aktives Mitglied der rechten Szene mit einer kriminellen Vergangenheit“, sagt Bürgermeister Hans-Jürgen Zimmermann von Bündnis 90/Die Grünen. Doch eine rechtliche Handhabe gegen den Aufbau einer solchen rechtsextremen Infrastruktur gebe es für die Stadt nicht.

Für Zimmermann ein altbekanntes Problem: Vor zwei Jahren zog der Hamburger Neonazi Klaus Bärthel mitsamt seinem „Wolf-Verlag“ nach Ludwigslust. Der 62-Jährige ist kein Unbekannter. Das Amtsgericht Hamburg verurteilte ihn als Herausgeber einer der einflussreichsten bundesdeutschen Neonazi-Publikationen, des Zentralorgans, wegen Volksverhetzung. Das hindert Bärthel nicht daran, in Ludwigslust eine einschüchternde Präsenz zu zeigen. Er beobachtet kommunale Ausschussitzungen und besucht die Gedenkstätte Wöbbelin, auf deren Gelände sich auch das Grabmal von Theodor Körner befindet. Dessen deutschnationale Dichtung übt auf Rechte eine ungebrochene Anziehungskraft aus. Außerdem ist Bärthel Anmelder neonazistischer Aufmärsche mit überregionaler Beteiligung. Morgen hat er die „Kameraden“ zum Marsch gegen das städtische Jugendzentrum aufgerufen. „Für das Image bei Touristen ist das ganz schlecht“, sagt Bürgermeister Zimmermann.

Nun unterstützt die Stadt eine Gegendemonstration der „Schüler gegen Rechts“, die „den Nazis nicht länger den öffentlichen Raum überlassen wollen.“ Andrej N. (Name von der Redaktion geändert), einer der Demo-Initiatoren, weiß, wovon er spricht. Erst vor kurzem musste er sich nach einem Angriff von drei Nazi-skins in ärztliche Behandlung begeben. Jetzt sei sein Bewegungsradius noch weiter eingeschränkt, sagt der 19-Jährige. „Seitdem die Rechten mit dem Tattooshop einen neuen Treffpunkt haben, überlege ich jedes Mal, wie ich heile nach Hause komme.“ HEIKE KLEFFNER