Politik nur neben Coca-Cola

Der Kölner taz-kongress diskutierte über die Repolitisierung der Popkultur. Und die 400 Besucher bekamen dies anschließend sogar zu hören – mit der Rockband Brings unplugged und HipHop

KÖLN taz ■ Irritierte Blicke, doch die Hüften wackeln. Damit hatte das Publikum nicht gerechnet: „Wer das Geld hat, hat die Macht“ rappen Hannes Loh und zwei Jungs der Kölner „Microphone Mafia“ aus dem Stegreif. Beat und Melodie zum spontanen „Freestyle“ improvisiert die kölsche Rockband Brings – mit Gitarre, Bass und Akkordeon. Unplugged meets HipHop. So klang nach über zwei Stunden teils erregter, teils unterhaltsamer Diskussion der „taz kongress on tour“ am Dienstagabend im Kölner Stadtgarten aus. Wo fing es an, was ist passiert?

The opening: Fast 400 Gäste drängen sich im renommiertesten Alternativ-Veranstaltungsort der Stadt. Die „Repolitisierung der Popkultur“ steht zur Debatte. Und trotz Biergartenwetters füllt ein junges Publikum bereits vor Sonnenuntergang den Konzertsaal.

Den Part des Bösen übernimmt bereitwillig Dieter Gorny. Der Geschäftsführer des Musiksenders Viva vertritt die These, die Gesellschaft schaffe sich auch im Pop ihre eigene Politik oder Unpolitik – und zwar in den Nuancen, die sie verdiene. Gornys zurücklehnende Haltung provoziert Hannes Loh, Autor des Buches „20 Jahre HipHop“: Gerade die Viva AG betreibe mit ihrem Programm eine Entpolitisierung „in rasantem Tempo“. Tyron Ricketts, Vertreter des HipHopNetzwerks für afrodeutsche Künstler „Brothers Keepers“, sieht in der postulierten „Viva-Kompatibilität“ für Songs und Videos einen Filter am Eingang des Musiksenders. Hinten käme dann die bekannte Einheitssoße aus buntem, schnell geschnittenem Material ohne deutlichen politischen Inhalt heraus.

Macht oder Ohmacht der Medien – Dieter Gorny kontert die Angriffe von Loh und Ricketts elegant: Achtzig Prozent der bei Viva eingesendeten Videos seien „nur Schrott“. Auch den Vorwurf des unpolitischen Kommerzsenders will er so nicht stehen lassen: Es gehe ihm nicht nur um Gewinn, sondern im Rahmen der Möglichkeiten – „ohne Coca-Cola-Werbung kein Musikfernsehen“ – um längerfristige Produkte wie den deutschsprachigen HipHop. Trotzdem gelte die Devise: Wenn das Programm nicht die Erwartungen erfüllt, schaut auch niemand zu. Die Macht liege also nicht bei Viva oder MTV, sondern bei den Konsumenten.

Keine Antwort hat Gorny allerdings auf die Position der Musikjournalistin Kerstin Grether. Sie beklagt eine Entpolitisierung des Pop, die gerade für Frauen buchstäblich körperlich spürbar sei. Denn statt Gegenmodelle zum dürren Model zu zeigen, bemächtigten sich Leitmedien wie Viva und MTV mit ihrer monotonen Bildersprache des weiblichen Körpers. „Entweder du siehst aus wie Britney Spears, oder du hast keine Schnitte bei den hübschen Jungs“ – so radikal und alternativlos sei die Welt der Popzeichen heute. Unterstützung kommt für Grether aus dem Publikum. Sie sei zwar nicht magersüchtig geworden, habe sich aber jahrelang am Schöhnheitswahn abarbeiten müssen, sagt eine junge Frau.

Wenn die Damen bei Viva oder MTV sich kaum von denen aus der Kosmetikwerbung unterscheiden und die Sender Politik nur neben Coca-Cola ins Programm schmuggeln können, wie findet der politische Pop dann aus seiner Nische den Weg zum Publikum? taz-Musikredakteur Daniel Bax und Tyron Ricketts sehen einen guten Ansatz in der Vernetzung politischer Bands und Labels. Die Gruppen müssten gemeinsam ein Trampolin basteln, von dem ein Sprung in die Öffentlichkeit leichter zu schaffen wäre. „Wir erreichen die Leute live!“, sagt Stefan Brings, Bassist der Kölner Band Brings: „Hier im Saal ist allen klar, dass Tyron als Schwarzer kein Mensch zweiter Klasse ist. Aber im Festzelt ist das keineswegs immer unstrittig. Da sind wir politisch gefordert.“

The conclusion: Live und vernetzt ging der Abend dann zu Ende – mit drei kölschen Musikern an den Instrumenten, einem aus Deutschland, einem aus der Türkei und einem aus Italien stammenden Rapper. Wer das Geld hat, hat die Macht? SEBASTIAN SEDLMAYR