Keine Tiershow

Die Theatergruppe Fanny und Alexander eröffnet mit „Requiem“ den Kampnagel-Themenblock „TeatroCittá“

„Ajuto! Dove sono?“ („Hilfe! Wo bin ich?“) Den verzweifelten Hilfeschrei quiekt der Mann im Falsett. Hochgradig verwirrt sieht der Arme aus. Doch keiner hilft ihm. Da geht es ihm nicht viel anders als Zuschauern, die kein oder kaum Italienisch verstehen. Denn bei der Theater-Oper Requiem der Gruppe Fanny und Alexander wird durchweg Italienisch gesprochen, gesungen und gesprechsangt. Ohne eingeblendete Untertitel.

Dunkel ists auf der Kampnagel-Bühne. Ein Tier kommt vom rechten Bühnenrand, es leuchtet weiß. Wie süß, ein Ziegenbock, angeleint an einen jungen Mann mit Rastalocken und Waschbrettbauch! Auch von links hoppelt ein unförmig weißes Wesen herein. Sind wir in einer Tiershow gelandet? Aber nein, da liegt auch eine Frau im weißen Kleid herum, ein großes rotes Buch überm Gesicht aufgeschlagen. Das ist „Alice-Psyche“, eine Mischung aus Alice im Wunderland und einer mythischen Gestalt namens Psyche aus einer Erzählung von Apuleios. Psyche, so heißt es weiter, zieht durch ihre Schönheit den Neid der Aphrodite auf sich. Die sendet Eros, um Psyche zu bestrafen. Aber erst mal zieht ihr Pan das Buch vom Gesicht.

Und dann wird eineinhalb Stunden gesungen, lamentiert, geschrien und geheult – zu expressiv-elektronischer Musik des italienischen Komponisten Luigi Ceccarelli. Aber warum lässt einen dieser Sturzbach an Gefühlen so entsetzlich kalt? Weil man nicht versteht, worum es geht. Das Programmheft verrät: Ein weißes Kaninchen namens Psychopomp hat Psyche zum Tod verurteilt, Eros verliebt sich in sie, Psyche hat Angst und will Selbstmord begehen, zum Schluss sind alle wieder Traumfiguren.

Ein Alptraum. Ach so. Einen Mann auf der Bühne könnte man als das Kaninchen identifizieren. Indiz: Er legt immer wieder die Hände an den Kopf und formt sie zu Löffeln. Eros könnte der Ziegenhirt sein. Indiz: Er ist der einzige andere Mann auf der Bühne. Aber wer ist dann Pan? Fragen über Fragen, die manchen zum Entschluss bringen, frühzeitig den Theatersaal zu verlassen. In regelmäßigen Abständen leuchtet die tiefrote Bühne auf, wenn Licht vom Ausgang hineinströmt. Zwei Sitze weiter im Zuschauerraum schwankt ein Kopf immer wieder zur Seite, nach vorn, zur Seite. Selig, wer bei dem Getöse schlummern kann.

Auch das echte Kaninchen döst meist in einer Ecke vor sich hin. Doch wenn das Geschrei allzu laut wird und das Licht schlagartig angeht, hoppelt es verschreckt umher. Armes Tierchen! Die Zuschauerin zwei Sitze weiter ist zum dünnen Schlussapplaus dann doch erwacht. Frisch gestärkt klatscht sie munter. Vielleicht die klügste Art, sich dieses „Multimedia-Theater“ zu Gemüte zu führen.

Karin Liebe

Sa + So, 21.30 Uhr, Kampnagel