: Guck mal, wer da kocht
■ Kunst allererster Kombüse: Daniel Spoerri stellt seine Kochkunst in der Galerie am Steinernen Kreuz aus
„Was, Herr Spoerri, haben Sie heute zu Mittag gegessen?“ – „Gekocht, junger Mann, gekocht!“ Dieser Gesprächsfetzen ist fiktiv, als solcher immerhin aber möglich. Vielleicht sogar wahrscheinlich.
Der 1930 im rumänischen Galati geborene Wahl- (oder Zwangs-) Schweizer Daniel Spoerri ist vieles: Ein Zentrum des mittlerweile legendären, zugleich lockeren Fluxus-Zusammenhangs (als solcher einer der hochgehandelten Meister der Gegenwartskunst). Er ist einer, der mit Vorliebe Grenzen verwischt, und einer, der gerne kocht.
Kulinarisches ist, schaut man genauer hin, nicht so peripher (und schon gar nicht so banal), wie es zunächst scheinen mag. Als Motiv, als Material, als ein möglicher Zugangsweg zur Wirklichkeit. Von Stilleben über ein „Bankett“ des Futuristen Marinetti, welches als einen Teil der Speisefolge „Kandierte atmosphärische Elektrizitäten“ vorsieht, und Warhols Suppendosen bis zu Dieter Roths Schmunzelhase. Interessant wäre eine Geschichte der Verbindung von Kunst- und Alltagsgeschichte am Beispiel des Essbaren, oder etwas ähnliches.
Bei Spoerri steht nicht das Essen im Vordergrund, sondern die Abwesenheit von Essen. Reste und Spuren – eigentlich sind die fixierten und an die Wand montierten Tischplatten leer. Oder, präziser: sie markieren etwas bereits Vergangenes. Entsprechend der klassischen Vorstellung vom „Festhalten des Augenblicks“ ist es hier der „Augenblick danach“, der in den Mittelpunkt des ästhetischen Geschehens rückt. Man sieht dreckige Teller, Gläser mit Getränkeresten, zerknüllte Servietten. Das Gelage ist vorbei, die Gäste sind gegangen. Es gehört zu diesen Arbeiten Daniel Spoerris die Akzentuierung des Flüchtigen, das ja auch schon im Namen – Fluxus – vorbeischaut. Denn eigentlich sind diese Tisch-Bilder mindestens doppelte, wenn nicht dreifache Werke. Das (vergangene) Essen gehört dazu, genauso wie das Kochen.
„... und Spoerri ist ein ausgezeichneter Koch“, sagt Brigitte Seinsoth, die Galeristin vom Steinernen Kreuz, in deren Räumlichkeiten derzeit auch andere Arbeiten Spoerris zu sehen sind. Als „Ergänzung“, vielleicht auch als Referenz- oder Kontrapunkt zu den Arbeiten Spoerris, die in der momentan in der Weserburg gezeigten Schnepel-Sammlung „Fluxus und Freunde“ auftauchen. „Assemblagen“ heißt die überschaubare Werkschau. In vielen Arbeiten moduliert und transformiert Spoerri Vorgefundenes. Ausgangspunkte sind oft Stiche, gerne aus Fachbüchern des 19. Jahrhunderts – zum Beispiel Abbildungen chirurgischer Eingriffe oder eine Stiche-Serie von „Leprösen aus Island“.
Spoerri übernimmt Elemente des Originals aus Bildern oder Worten, „zitiert“ diese, wobei er den Eindruck des Ausgangsmaterials umwidmet. So wird ein Begriff wie „Gürtelrose“ ganz poetischen. Oder das alte Werkzeug einer HNO-OP zum strukturierenden Bildelement.
Der Tisch indes, an dem der Künstler die Serien erarbeitete, ist selber Kunstwerk, zu sehen in der Weserburg. Und zwar eines, in dem die medizinischen Werkzeuge als Handwerkszeug des Künstlers wiederkehren. Spoerris Arbeiten zeichnen sich durch Intelligenz ebenso aus wie durch ein Höchstmaß an Humor. Das Wörtlichnehmen gehört zu seiner Arbeit ebenso dazu wie die ironische Distanz zu Gegenständen.
Schließlich darf man vermuten, dass Spoerri den Hang zum Flüchtigen, mit dem er das Vergängliche von Orten und Begegnungen in seine Werke mit hinein nimmt. Er ist einer, der in der Zeit lebt, ein Getriebener und Unbehauster. Nicht zufällig haben seine Hommagen an Freunde und Kollegen eben die Form des Essens-Restes. Mit einer Serie seiner Tisch-Bilder stattete Spoerri übrigens den Schweizer Pavillon der Expo in Sevilla aus. In der Mitte war ein Brunnen zu sehen, der aus Fleischwölfen bestand. Ein Guss dieses Brunnens wird noch im Sommer am Rande des Marktplatzes installiert. Auf dass Spoerris herzliche Beziehung zur Hansestadt auch etwas Bleibendes hinterlässt. Tim Schomacker
Die „Assemblagen“ sind bis zum 18. Mai in der Galerie am Steinernen Kreuz zu sehen.
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