Die Haltung in der Sprache

Im Berliner Ensemble nahm Elfriede Jelinek den Theaterpreis Berlin 2002 entgegen. Ihre Preisrede widmete die so Geehrte dem verstorbenen Regisseur Einar Schleef

Man könnte sie eine Patin des diesjährigen Theatertreffens nennen: Elfriede Jelinek steht für ein Theater der Sprache, das mit psychologisch agierenden Rollen nur wenig am Hut hat. Umso mehr aber mit Haltungen, die in der Sprache überdauert haben. Die Sätze sagen bei ihr oft mehr, als die Sprechenden zugeben wollen, wie ein genetisch unveränderbarer Code brechen sie aus den Körpern hervor. So, wie sie jedem Wort seine Vergangenheit vorhält, so hat sie auch die theatralische Situation stets als eine der Machtverhältnisse und voyeuristischen Zuteilungen im Visier. In diesem doppelten kritischen Blick, auf die Oberfläche der Sprache und in den Werkzeugkasten des Inszenators, hat sie seit über 20 Jahren den Freiraum gegraben, in dem das Theater der Gegenwart entsteht.

Am Donnerstag wurde Elfriede Jelinek der Theaterpreis Berlin 2002 verliehen, den die Stiftung Preußische Seehandlung zum 15. Mal zum Theatertreffen vergab. Die Feier fand im Berliner Ensemble statt. (Als Regisseur und Intendant hatte Claus Peymann viele Jelinek-Stücke in Wien und Berlin im Programm. Kein Wunder also, dass seine Bühne, dieses Jahr nicht zum Theatertreffen eingeladen, die Preisverleihung als ein Highlight ihres Gegenprogramms feierte.)

Schauspieler kamen und gaben in vier Monologen eine Ahnung, was Jelinek auf der Bühne bedeutet. Gleich der Erste, aus dem „Sportstück“ von 1998, hörte sich an wie ein Kommentar auf eine Preisverleihung, bei der sich das Publikum an der geistigen Arbeit der Autorin mästet. Zertrümmert wurde die beliebte Floskeln vom „Außenseiter“. „Außenseiter aus dem Katalog“ wurde da die Masse der jetzt die Texte der „Autorin mit dem geschminkten Gesicht“ begeistert Lesenden tituliert. „Wir wissen doch alles, warum sagen Sie’s dauernd“, fuhr ihr die Stimme der kurzfristig Erkenntnis Mimenden kaum einen Atemzug später ins Gesicht. Sich’s wohl gehen zu lassen im Erfolg, das ist Jelinek wohl unerträglich.

Groß war die Freude der Festredner Gregor Gysi, der als stellvertretender Bürgermeister von Berlin kam, und des Kultursenators Thomas Flierl, der krankheitsbedingt ein Grußwort verlesen ließ über Jelineks politisches Engagement. Alle lobten sie auch als Feministin, weshalb man sich den Einsatz von Festrednerinnen wohl zu sparen können glaubte. Rudolf Scholten, ehemaliger österreichischer Bundesminister für Wissenschaft und Kunst, bestritt die Skepsis der Autorin gegenüber der politischen Wirksamkeit ihrer Werke. Seine Rede war fast eine Bitte: Elfriede Jelinek wird in Österreich gebraucht, um dem Heimattümelnden und Fremdenfeindlichen, der Verklärung des Gesunden und Natürlichen in seinen immer neuen Tarnungen auf die Spur zu kommen. „Freunde“, meinte Scholten, „versperren ihr den Rückzug von der Rampe.“

Da steht sie tatsächlich nicht gern. Als Expertin für unterirdisch wirkende Kräfte taucht sie lieber ab hinter den breiten Gewalten der Sprache. Ihre Rede, mit der sie am Ende blass und fragil auf die Bühne kam, war dem Fehlen von Einar Schleef gewidmet: „Er kann den Wald nicht mehr erblicken, er kann die Berge nicht mehr erblicken, er kann die Uferpromenade mit seiner Übungsbank in New York nicht mehr erblicken.“ Ein Video zeigte ihn bei den Proben von „Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes“, das er am BE herausbringen wollte. Herzprobleme ließen ihn die Proben abbrechen. Jelinek beschrieb ihn als ein Kraftwerk, das sich in der Sprache fortwährend selbst erzeugte und nun in unterirdischen Strömen weiterwirkt, deren Auswirkungen an der Oberfläche noch nicht zu fassen sind. In vielen ihrer Texte schalten sich die Toten ein, vorwurfsvoll, erpresserisch, voller Neid auf die Gegenwart und den Lebenden eine kontaminierte Sprache hinterlassend. In Schleef hatte sie einen gefunden, der ihr in diesem Bergwerk zur Seite stand. Jetzt hat es ihn selbst verschlungen.

KATRIN BETTINA MÜLLER