zukunft des nahverkehrs
: WEERT CANZLER über das Gesetz der Routine

Umsteigen auf Weltniveau

„Fahrt alle Taxi“ war der Titel eines Kommentars von Andreas Knie, Techniksoziologe an der TU Berlin, an dieser Stelle im Februar anlässlich des 100sten Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die taz diskutiert aus diesem Anlass – immer samstags – streitwürdige Thesen zur „Zukunft des Nahverkehrs“. Zuletzt schrieb Hermann Blümel über alte Dieselbusse und „den verspielten Ökobonus des ÖPNV“.

Wir kennen die Meinungspole zum Verkehr in Berlin: Da gibt es die eingefleischten Anhänger von U-Bahn, Bus und Tram auf der einen Seite und die lautstarken Automobilisten auf der anderen Seite, die sich gegen Busspuren und Parkgebühren wehren. Und dann kommen noch die überzeugten Fahrradfahrer dazu, die weder auf die lackierten Kampfhunde auf der Straße noch auf den Mief in quietschenden U-Bahnen gut zu sprechen sind. Diese Frontstellung hat nicht nur einen ideologischen Verlauf. Der entscheidende Grund für dieses ritualisierte Zerwürfnis liegt darin, dass beinahe alle auf „ihr“ Verkehrsmittel beschränkt sind und es auf Dauer auch bleiben. Das gilt ganz besonders für die selbstfahrenden Blechkisten.

Die Sozialwissenschafter unter den Mobilitätsforschern sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Routinebildung: einmal Auto, immer Auto. Routinen entlasten den Alltag enorm. So lässt sich vermeiden, einzelne Entscheidungen immer wieder neu treffen zu müssen. Doch gleichzeitig führen Routinen zu einem buchstäblich „eingefahrenen“ Verhalten. Alternativen haben keine Chance, das vertraute Verkehrsmittel im Kopf dominiert. Verkehrsexperten diagnostizieren ernüchtert eine stabile Monomodalität. Alle Appelle und Werbekampagnen, doch bitte mal das Auto stehen zu lassen und den wunderbaren öffentlichen Nahverkehr zu nutzen oder aufs die Gesundheit fördernde Fahrrad zu steigen, verhallen. Es sei denn, der berüchtigte Eisregen oder streikende Bus- und U-Bahn-Fahrer zwingen zum Routinebruch. Das kommt vor, aber eher selten.

Wie kann ein Ausbrechen aus diesem bornierten Verkehrsverhalten gelingen? Die Antwort kann nur lauten: durch die Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel oder neudeutsch: durch Intermodalität. Die Chancen für eine erfolgreiche Kombination der verschiedenen Verkehrsmittel je nach ihren Stärken sind in Berlin eigentlich günstig. Kaum irgendwo sonst findet man einen so vielfältigen ÖPNV mit Bussen, U-, S- und Straßenbahnen wie hier, eine riesige Taxiflotte, eine Carsharing-Tradition, moderne Rikschas, sogar Schiffe und eine Basisausstattung der meisten Haushalte mit Fahrrädern. Ganz zu schweigen von den über 1,2 Millionen Privatautos mitsamt einer großzügigen Infrastruktur und vergleichsweise üppigen Park-und-Ride-Gelegenheiten. Doch muss einiges passieren, um eine Ressourcen schonende Integration der bisher getrennten Verkehrsmittel zu realisieren. Vor allem muss der Umstieg erleichtert werden. Ganz konkret hieße das:

– Neue Angebote müssen her. Dringlich wären kostengünstige Dauerkarten für den ÖPNV, in dem die Fahrradmitnahme selbstverständlich und eine günstige Nutzung von Carsharing-Autos und Leihfahrrädern nach dem Münchener Call-a- Bike-Modell integriert sind.

– Die Verkehrsinfrastruktur ist intermodal auszurichten: Es bedarf eines engmaschigen Netzes von wohnungsnahen Mobilstationen, an denen die Verkehrsmittel „getauscht“ werden können.

– Städtischer (Park-)Raum darf nicht mehr umsonst sein: Das Berliner Straßennetz und alle öffentlichen Parkflächen, beginnend innerhalb des inneren S-Bahn-Ringes und perspektivisch im gesamten Stadtgebiet, erhalten einen Nutzungspreis. Es spricht hier vieles für eine “Eintrittskartenlösung“, nach der ein ÖPNV-Ticket als Einfahrtsberechtigung für das Stadtgebiet vorgeschrieben wird. Ausnahmen sollte es nur für Behindertenfahrzeuge und Carsharing-Autos geben.

– Eine umfassende Beratung: Geschulte Kräfte, so genannte Mobilitätsberater, müssen auf alle Mobilitätsbedürfnisse – auf die alltäglichen ebenso wie auf nicht alltäglichen – eine Antwort haben. Das kann im Übrigen mit Hightech sehr gut unterstützt werden. Internetbuchungen, aber auch Auskünfte über das Mobiltelefon und der persönliche elektronische „Reise-Assistent“ gehören dazu.

Vorbilder für eine solche geballte Ausstattung mit innovativen Verkehrsangeboten gibt es nicht. Berlin könnte hier wirklich einmal Modellstadt werden und neue Angebots- und Betreiberkonzepte einfach ausprobieren. Nicht zuletzt winken Forschungsgelder, denn Intermodalität ist derzeit das forschungspolitische Zauberwort im Verkehr.

Ein solcher Modellversuch, der das gesamte Know-how der vielfach von Politikern und Experten beschworenen Verkehrskompetenzregion braucht, zielt zugleich auf soziale und technische Innovationen. Eine Smartcard, mit der alle Verkehrsangebote bezahlt werden können und die zugleich Fahrschein und Zugangsberechtigung für Carsharing-Autos und Leihfahrräder ist, spielt im wahrsten Sinne des Wortes die Schlüsselrolle.

Intermodale Verkehrsangebote sind auf fortgeschrittene Informationstechniken angewiesen, sie müssen jedoch auch von den Nutzerinnen und Nutzern angenommen werden. Bezahlbar, verständlich und einfach sollen sie daher sein und zur Routinebildung einladen, damit ein Umsteigen ganz selbstverständlich wird. Gemäß dem Motto: Umsteigen? Aber immer.

Weert Canzler ist Soziologe, Politologe und Mitbegründer der „Projektgruppe Mobilität“ am Wissenschaftszentrum Berlin