Um die Erde

Ein Mann sucht nicht die Idylle, wohl aber das Glück. Er hat sechzig Tage. Das Ergebnis: Die Welt, wie der Geschichtenjäger Andreas Altmann sie sieht

„… den Leser mit Sehn- sucht vergiften. Damit er den Mehlsack in sich vergisst …“

von ANDREAS KIRCHGÄSSNER

Er wurde mit Egon Erwin Kisch verglichen, in dessen Namen er 1992 auch den renommierten Preis bekam. Kischs Anspruch auf nüchterne Sachlichkeit, auf „Objektivität“ gar, erfüllt er allerdings nicht. Das ist wohl auch nicht Andreas Altmanns Anliegen. Eher schon Kischs Prämisse aus dem Vorwort des „Rasenden Reporter“, dass der Reporter weder Künstler, noch Politiker, sondern ein „gewöhnlicher Mensch“ sei, dessen Werk einzig „vermöge des Stoffes“ wirkt. Man möchte noch einen Schritt weitergehen: Erst in der rücksichtslosen Konfrontation mit den Menschen und ihren Abgründen, sicherlich auch im Schreiben darüber, erfährt der ehemalige Jura-, Psychologie-, Schauspielstudent, der ehemalige Zeitungsausträger, Hausmeister, Taxifahrer, Gärtner, Bauarbeiter, Nachtportier, Dressman und Schauspieler sich selbst noch.

Getrieben von einer tiefen Abneigung gegen alles Träge und Selbstgefällige macht er sich immer wieder auf die Reise. Mit dem Greyhound durch Amerika, in 90 Tagen von Tanger nach Johannesburg, von Kairo in den Süden Afrikas, und nun, für dieses Buch, in 60 Tagen um die Welt. „Wenn das Lesen dieser Seiten irgendeinen Sinn haben soll“, schreibt Altmann, „dann den folgenden: den Leser mit Sehnsucht vergiften. Damit er den Mehlsack in sich vergisst, den Ranzen schnürt und losrennt …“

Altmann ist ein Spieler, stets bereit, mit jedem um neue Bilder, neue Anekdoten zu wetten. „Geschichten anschaffen gehen“, nennt er das.Und bald stellt sich heraus – trotz der kurzen Klage des Autors über mangelnde Zeit und geringes Budget –, dass die knappe Zeitvorgabe dem Autor entgegenkommt. Ein paar Tage Aufenthalt an saturierten Orten wie Sydney dauern ihm schlicht zu lange. Eilig kauft er ein Flugticket nach Lima, um sich dort wieder hineinzustürzen in die Massen der Habenichtse und Überlebenskünstler, denen Tag für Tag nichts anderes übrig bleibt, als das einzige Kapital, das sie haben, einzusetzen: ihre Kreativität im Überlebenskampf.

Dort taucht er unter und taucht wieder auf. Mit einem Menschen. Einem Schuhputzer, der mittels eines Zettels an seinem Arbeitsstuhl ein Mädchen sucht. Nein, nicht fürs Bett, wie Altmann zunächst annimmt, sondern als Haushaltshilfe. Eintauchen in Hühnersuppe, auftauchen mit einem Stromausfall, und schon sprintet der Koch des Lokals, verbarrikadiert die Eingänge. Nicht, um Zechpreller aufzuhalten, sondern um in der Dunkelheit Überfälle auf die Gäste zu vermeiden, erfährt Altmann vom Koch.

„Bist du glücklich mit deinem Leben?“ ist Altmanns Lieblingsfrage. Er stellt sie jedem und weckt damit den Verdacht, irgendeiner New-Age-Richtung anzugehören. Was soll man auf die Frage schon antworten? Dieselbe Frage schleudert er offenbar auch den Deklassierten Indiens, Südamerikas, Afrikas entgegen. Mit fundamental anderem Ergebnis als bei uns. Die Frage öffnet Türen und Münder. Das Paradoxon: Die vom Paradies am weitesten Entfernten kennen den Weg dorthin am besten.

Am Ganges mit den Augen eintauchen (unser Körper würde es nicht gesund überstehen), zusehen, wie die Hindus ihre Toten verbrennen. Ein Bootsmann deutet auf Altmann und kichert: „One day, you know, you finished.“ Altmann, ebenfalls kichernd: „But you also finished, one day“, und beide, der Bootsmann und Altmann, freuen sich, weil der Gedanke ans Sterben ihnen nichts mehr anhaben kann.

Dies mögen die Momente sein, aus denen Andreas Altmann das Elixier gewinnt, das ihm unter den „Mehlsäcken“ abhanden zu kommen droht. Er schreibt es auf. Und tatsächlich: Mich vergiftet er damit. Allerdings bin ich in dieser Hinsicht sein Verwandter, stets auf der Flucht vor dem Gewöhnlichen, um mich im Fremden neu zu entdecken.

Ich habe jedoch eine Freundin. Sie ist gehbehindert. Von Zeit zu Zeit gibt sie mir Geld, damit ich reisen kann. Damit ich über die Reisen schreibe. Damit sie lesen kann, was sie, würde sie reisen, hätte erleben können.

Seinem hehren Anspruch, seinen Lesern das Mehlsackdasein auszutreiben, wird Altmann gewiss nicht gerecht. Im Gegenteil. Sehr kurzweilig jagt er von Kontinent zu Kontinent, von Stadt zu Stadt, von Mensch zu Mensch, von einer Story zur nächsten. Warum also reisen, sich den Durchfall und den Dreck und das Elend einhandeln, wenn ich all das auch als unterhaltsame Lektüre im Bett geboten kriege.

Andreas Altmann: „Einmal rund-herum“. Geschichten einer Weltreise.Rowohlt Verlag, 2002, 155 S., 6,90 €