Immer wieder sonntags

Seit acht Sonntagen versucht die neue „NZZ am Sonntag“ sich im schweizerischen Wochenend-Zeitungsmarkt zu behaupten. Bis jetzt ist sie noch auf der Suche nach der eigenen Identität

aus Zürich KARIN WENGER

„Unser Canton hat nur wenige Dörfer, wo die Lectüre Mode wäre; der grössere Teil desselben besteht aus Landbauern, die einen schweren rauen Boden zu bearbeiten haben, welcher ihnen zu wenig Zeit übrig lässt.“ (Geschichte der schweizerischen Zeitungspresse zur Zeit der Helvetik, Zürich 1909)

Alter Käse, könnte man sagen, ob des Widerstandes des damaligen Statthalters von Schaffhausen gegen die Einführung des Helvetischen Volksblattes. Aber haben die Menschen heute wirklich mehr Zeit als die aus dem Jahre 1800? Wahrscheinlich nicht. Das brüllende Vieh wurde zwar durch surrende Bildschirme ersetzt, die Händelei mit dem Metzger durch eine Telefonkonferenz. Eines aber bleibt: die ungelesenen Zeitungsberge.

Die Zeitungsmacher in der Schweiz wollen von Medienschwemme und Marktsättigung jedoch nichts wissen. Dabei ist der Schweizer Markt klein – sehr klein. Trotzdem hat am 17. März auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ihr eigenes Sonntagskind geboren. Statt also zu spazieren und dem Nichtstun zu frönen, werden die Schweizer auch am Ruhetag unter die Leselampe verbannt.

Doch gerade die ausgewählte Leserschaft der NZZ würde am Sonntag wohl lieber den Zeitungsberg der Woche abbauen. Felix Müller, Chefredakteur der Sonntags-NZZ, hat jedoch wenig Bedenken, was sein neues Produkt betrifft: „Vielleicht gibt es auch Leser, die einmal etwas anderes lesen möchten.“ Das Andere soll leichtere Themen, Unterhaltung auf hohem Niveau und ein farbiges, elegantes Layout beinhalten. Was seit dem 17. März auf den sonntäglichen Frühstückstischen neben Gipfeli und Kaffee liegt, ist ein knapp 130-seitiger Schinken, ein Sammelsurium aus den neusten Sportresultaten, einem mittelmäßigen Wochenrückblick und kurzen Interviews mit großen Leuten. Die Zeitung umfasst zusätzlich zum Sport Wirtschaft, Geld, Kultur, Wissen und Gesellschaft.

Bei der erschlagenden Fülle verliert der Leser leicht die Übersicht und sein Blick bleibt am Laufsteg der Promiwelt im ersten Bund hängen. Dieser verleiht dem Blatt einen Hauch Boulevard, gerade so viel, um die qualitätsträchtige Herkunft nicht zu verleugnen, mit der die NZZ am Sonntag wirbt. Die Liebäugelei mit Glitter und Glimmer sagt das Gleiche über die Richtung der Zeitung aus wie das allgemeine redaktionelle Kunterbunt: Das Sonntagskind hat einen orientierungslosen Sonntagsmarsch angetreten. Will es nun aktuell sein oder hintergründig? Trendig oder bieder? Am liebsten ein bisschen von allem. Auf diesem All-included-Trip bleibt die Frage, wem die NZZ am Sonntag die Leser abwirbt.

Auf dem Deutschschweizer Sonntagsmarkt tummelt sich seit 1969 der SonntagsBlick (Ringier Verlag), seit 1987 begleitet von der SonntagsZeitung aus dem Hause des Tages-Anzeigers. Das SonntagsBlatt, eine durch Verleger verschiedener Tageszeitungen 1986 gegründete Sonntagszeitung, wurde bereits 1987 eingestellt. Der Grund: Rund die Hälfte der Exemplare wurden wegen ungünstigen Vertriebssystems gestohlen anstatt gekauft. Die SonntagsBlick-Leser – an Übersicht und 100-Punkte Schrift gewohnt – werden kaum zur neuen Sonntagszeitung überlaufen. Für die SonntagsZeitung könnte das neue Produkt gefährlicher werden. „Wir wollen die unzufriedenen SonntagsZeitungs-Leser gewinnen und die NZZ-Leser behalten“, sagt Müller zur taz. SonntagsZeitung-Verlagschefin Sandra Geiger antwortet: „Sicher ist, dass wir gewisse Federn lassen werden. Wir haben aber bereits für eine Qualitätsverbesserung im eigenen Hause gesorgt.“

Wer wo Federn lassen wird, kann erst in einem Jahr gesagt werden. Dann ziehen nicht nur die Marktanalysten ihre Bilanzen, sondern auch die NZZ am Sonntag flattert nicht mehr gratis in die Briefkästen der treuen NZZ-Abonnenten. Ob da die angestrebte Auflage von 150.000 Exemplaren gehalten werden kann? Nach acht Sonntagsausgaben regt sich bei angestammten NZZ-Lesern wenig Bereitschaft, für das neue Sonntagsblatt später noch zusätzlich Bares auf den Tisch zu legen. „Wenn ich die Samstags-NZZ gelesen habe, brauche ich jene am Sonntag nicht mehr“, kommentiert ein treuer Leser die NZZ am Sonntag. Um also eine Konkurrenzierung im eigenen Hause zu vermeiden, braucht das Sonntagsblatt, was es bis jetzt noch nicht hat: eine klare Positionierung als Kontrast oder Ergänzung zum Mutterhaus. Und: Ihr fehlt der Knüller, der Heuler, wie ihn die Welt am Sonntag hat und welcher die Spaziergänger zum Kauf animiert. Heuler aber widersprechen der Tradition des Hauses, und mit der bleibenden hierarchischen Struktur, der mütterlichen Unterordnung beginnt das Kind eine Gratwanderung, wie sie die beiden anderen Deutschschweizer Sonntagszeitungen bereits hinter sich haben: Der Blick führt weiter, was der SonntagsBlick in der Woche vorbereitet hat – man gedenke Ex-Botschafter Borer-Fieldings –, der Tages-Anzeiger führt auf keinen Fall weiter, was die SonntagsZeitung publiziert hat. Sowenig das neue Sonntagsblatt Farbe zum Ruhetag bekennt, so wacklig sind seine Standbeine aber auch in der Woche. Dabei hätte das neue Produkt guten Grund, das Profil einer Wochenzeitung zu repräsentieren. Der Flirt mit den Weltwoche-Redakteuren hat nämlich zu einer regelrechten Ehekrise der Wochenzeitung geführt. Mehr als sechs Redaktionsmitglieder haben das in Dauerturbulenzen steckende Wochenblatt verlassen und sind auf die NZZ am Sonntag aufgesprungen.