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: EKATERINA BELIAEVA über russisch-deutsches Schach-Picknick

Die Vor- und die Nachkaminerzeit

Es ging darum, dass sich die Russen und die Deutschen „nicht verstehen“, wir haben uns gedacht, dass wir miteinander spielen sollten – und zwar Schach. Dabei steht nicht die verbale Kommunikation im Vordergrund, sondern das, was auf dem Brett stattfindet. Schach ist wider allem Anschein ein sehr emotionales Spiel, das jedoch ohne Sprache auskommt. Und es gibt dabei die Tradition, internationale Turniere zu veranstalten. Die Rahmenbedingungen sind also klar, den Anfang haben wir am letzten Sonntagnachmittag im Monbijou-Park gemacht, wo das Spiel mit einem russischen Picknick verbunden war.

Wir befinden uns derzeit in einer spannenden Phase. Diese wurde gerade von einem Artikel im Tip über die Russenszene noch beschleunigt. Man hat uns darin etwas abfällig als „Generation Wodka“ bezeichnet – nur, das sind wir nicht. Die jungen Leute, die zur russischen Szene gehören, sind eher das Gegenteil. Und um Wodka geht es sowieso nicht!

Da hält sich immer noch ein Vorurteil: Als die Russen hier ankamen – ab 1990 – waren sie nicht sehr gelitten. Es war beinahe peinlich, ein Russe zu sein. Alle dachten, wir wären Wirtschaftsflüchtlinge – gierig nach Konsumgütern!

Es war aber das Schicksal, das uns hierher verschlagen hat. Und hier war die Nische für uns schon vorbereitet – das wussten wir nur nicht, wir haben sie gefüllt: Der einzige Weg war, zum Sozialamt zu laufen, es gab keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Erstens gab es auf den Arbeitsstellen ein großes Misstrauen gegen Russen; zweitens hatten wir Sprachprobleme am Anfang und drittens irritierte unser roter – russischer – bzw. unser blauer – staatenloser – Pass, und die Einbürgerung brauchte einfach ihre Zeit. All das war sehr demütigend. Während wir daheim eher zur geistigen Elite gehört hatten, waren wir hier plötzlich Unterschicht.

Das ist jetzt jedoch nicht mehr so. Man kann diese Zeit unterscheiden – in die Vorkaminer- und in die Nachkaminerzeit. Seit Wladimir Kaminers „Russendisko“ ist es von Vorteil, ein Russe zu sein, die Deutschen suchen unsere Nähe und sogar Freundschaft. Es geht dabei natürlich meistens um junge Leute. Diese haben sich parallel dazu aus der Zerstreuung zusammengefunden.

Und in dieser Szene geht was ab, sie kristallisiert sich wie in Russland in den Wohnküchen und zeigt sich dann auf der Torstraße. Zuerst – nach dem Buch „Russendisko“ – mussten wir uns dort erholen, und weil dabei jeder wie früher zu Hause akzeptiert wurde, hat uns das gestärkt. Plötzlich waren wir vernetzt – integriert!

Immer mehr Leute fingen an, was zu machen – Lesungen, Konzerte, Ausstellungen. Sehr viele haben auch mit Computern zu tun. Es gibt nur ganz wenige, die Fabrikarbeiter waren, die meisten sind kreativ oder wissenschaftlich tätig bzw. studieren noch.

Wenn der „Kaminer-Rummel“ (Reich-Ranicki) uns Akzeptanz verschafft hat, dann geht es jetzt darum, eine Wertschätzung zu erlangen – und dazu muss man nach außen hin aktiv sein. Unsere Existenz hier als Russen ist jetzt Fakt, aber es gibt noch das Gefühl, wenn wir wieder gehen würden, wären alle erleichtert. Das Potenzial muss also noch Anerkennung finden.

Das russisch-deutsche Schach-Picknick wird fortgesetzt – ebenfalls auf der Liegewiese des Monbijou-Parks – in einer feierlichen Atmosphäre. Das Spielfeld ist mit Fahnen abgesteckt und den Siegern winken erneut Urkunden, aber am Ende werden wieder alle Teilnehmer gewinnen. Interessenten melden sich bei „Stalker-Tours“, Tel. 27 58 26 99, (01 72) 3 95 33 90 oder: eka.eva@t-online.de.