unser langjähriger israel-korrespondent amos wollin ist tot
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Immer, wenn ich in den letzten zwei Jahrzehnten nach Israel geflogen bin, habe ich den ersten Abend mit Amos und seiner Lebensgefährtin Ursula auf ihrer Dachterrasse in der Nähe des Carmel-Marktes im Süden von Tel Aviv verbracht. Zwischen liebevoll gezogenen Pflanzen und Blumenkübeln diskutierten wir bei einer Flasche Wein die aktuelle politische Lage, trafen unsere Absprachen für die nächste Zeit und unterhielten uns über die jüngsten Entwicklungen in der taz. Auch am letzten Abend vor dem Abflug saß ich dort, um mit Amos die gewonnenen Eindrücke durchzugehen. Wie viele andere habe ich diese Gespräche mit dem sehr klugen Kollegen, Freund und intimen Kenner des israelisch-palästinensischen Verhältnisses genossen.

Amos Wollin stieß 1980 aus eigenem Antrieb zur taz. Er war damals unser mit Abstand ältester Korrespondent. Im Jahre 1938 war er als 15-jähriger Junge mit seiner Familie aus der Tschechoslowakei in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina eingewandert. 1942 meldete er sich als Freiwilliger zur britischen Armee. Nach Kriegsende begann er in Prag Medizin zu studieren, bis er 1950 wegen der stalinistischen Entwicklung in der Tschechoslowakei das Land verlassen musste. Zurück im neu gegründeten Staat Israel, fing er an, als Journalist zu arbeiten. In seinem winzigen Arbeitszimmer stapelten sich die Zeitungen säuberlich bis unter die Decke. Doch Amos war kaum auf ein Archiv angewiesen, denn Daten und Fakten hatte er aufgrund seines phänomenalen Gedächtnisses stets parat.

Das erste feste „Gehalt“, das Amos von der taz bezog, belief sich auf stolze 400 DM. Seinem Engagement tat das keinen Abbruch. Er berichtete aus dem reichen Fundus seiner Erfahrungen fast täglich aus der Region – über die Proteste gegen die israelische Invasion im Libanon 1982 ebenso wie Wahlen, Regierungskrisen, Skandale und den ersten Palästinenseraufstand. Und auch immer wieder über jenes Thema, das ihm seit Beginn seiner journalistischen Karriere besonders am Herzen lag: die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern.

Das sollte er nicht mehr erleben. Aus einem Brief, den Amos kürzlich an Freunde schrieb, spricht das Entsetzen über die jüngste israelische Militärinvasion im Westjordanland, die Politik Scharons und der USA: „Ja, es vergeht einem das Hören und Sehen, und vor allem verschlägt es einem die Sprache.“ Amos ist in der Nacht zu Sonntag in Tel Aviv im Alter von 79 Jahren an Leukämie gestorben. BEATE SEEL